Zypern – Grenzen überwinden in einem geteilten Land
„Ich hatte eine glückliche Kindheit“, schwärmt Studiosus-Reiseleiterin und -Ländermentorin Evie Hadjikakou. „Ich wuchs im schönsten Badeort Zyperns, in Famagusta, auf. Unser Haus lag direkt am Strand. Im Erdgeschoss praktizierte mein Vater in seiner Praxis, darüber wohnten wir, und nebenan meine Großmutter.“ Doch damit war es am 16. August 1974 jäh vorbei, als türkische Truppen die Stadt bombardierten und besetzten. Die Familie flüchtete in den Süden nach Larnaka. Statt in einem Haus am Strand lebte sie jetzt in einem Zelt in einem Flüchtlingscamp. 14 Jahre alt war Evie Hadjikakou da. Doch sie hatte Glück im Unglück. Ihr Vater konnte im Lazarett und später wieder in eigener Praxis in Larnaka arbeiten, auch ihre Mutter, die als Deutsche im Goethe-Institut auf Zypern tätig war, konnte die Arbeit bald wieder aufnehmen. „Ich machte meinen Schulabschluss noch in Larnaka, dann bin ich nach Deutschland gezogen, wo ich Archäologie studiert habe“, erzählt Frau Hadjikakou. „Nach der Geburt meiner Kinder und nach Ausflügen in die Museumspädagogik habe ich 1994 bei Studiosus als Reiseleiterin angefangen und führe bis heute Reisen nach Zypern.“
Der „Mauerfall“-Moment 2003
Lange Zeit konnten diese Reisen aber nur in die Republik Zypern, den südlichen Teil der geteilten Insel, führen. Erst 2003 öffnete die sog. „Türkische Republik Nordzypern“ einige Grenzübergänge. „Ich war zu diesem Zeitpunkt zufälligerweise vor Ort und es war atemberaubend – wie beim Fall der Berliner Mauer. An den offenen Checkpoints stauten sich die Autos kilometerlang, alle wollten über die Grenze nach Norden, während des stundenlangen Wartens lief man die Strecke hin und zurück. Es gab oft ergreifende Szenen, wenn sich Verwandte und Freunde, die sich oft jahrzehntelang nicht mehr gesehen hatten, auf dem Weg in die alte Heimat trafen, erzählt Evie Hadjikakou mit leuchtenden Augen. „Auch ich fuhr sofort über die Grenze nach Famagusta. Aus der Ferne konnte ich sogar mein Elternhaus sehen und die vielen verfallenen Gebäude rundherum. Es schnürte mir das Herz zu. Und als später meine Mutter die Ruinen mit eigenen Augen sah, wurde sie erst einmal krank – so sehr bedrückte sie der Anblick.“
Ihrem Elternhaus wieder richtig nahe kommen konnte Evie Hadjikakou 2020. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde der Aufenthalt in dem Teil der militärischen Sperrzone, der Green Line, in der das Elternhaus lag, freigegeben. „Näher als 50 Meter bin ich zwar immer noch nicht an mein Elternhaus herangekommen“, bedauert sie, „aber das reichte, um das ganze Desaster nun genau zu sehen. Die herausgebrochenen Mauern, die beschädigten Fenster, die baufälligen Balkone.“
Mit Studiosus durch die Geisterstadt
2024 lernen Studiosus-Gäste auf einigen Reisen nach Zypern erstmals Varoshia, den Stadtteil von Famagusta, in dem dieses Elternhaus liegt, kennen. Sie streifen durch die leeren Straßen, vorbei an Ruinen einstiger Hotels, Restaurants und Wohnhäuser. Und sie sehen zwei frisch geteerte Straßen und einen neuen Kiosk, extra für den Besuch des türkischen Präsidenten Recep Erdogan errichtet, als dieser 2020 den Ort besuchte und prophezeite, Famagusta werde dank vieler Casinos zum neuen Las Vegas werden. Einige Studiosus-Reisen wird auch Evie Hadjikakou als Reiseleiterin begleiten und dann den Gästen von ihrer Jugend am Strand und ihren Freundinnen in der Schule erzählen – und von den politischen Entwicklungen, die zur Teilung der Insel und zur zaghaften Öffnung der Grenze geführt haben. Aber auch wenn Evie Hadjikakou nicht dabei ist, werden die Gäste hier Zeitgeschichte hautnah erleben: Dafür sorgen die Studiosus-Reiseleiterinnen und -Reiseleiter – und immer treffen die Gäste in Famagusta auch einen Einheimischen, der für sie die einzige griechisch-orthodoxe Kirche des Ortes aufschließt und ihnen gerne von seinem Schicksal als türkischer Zypriot erzählt, der sich wegen der forcierten Besiedlung des Nordteils durch Festlandtürken mittlerweile wie ein Angehöriger einer Minderheit im eigenen Land fühlt.
Liebe überwindet alle Grenzen
Ein weiteres berührendes Stück Zeitgeschichte lernen die Gäste bei dem von Studiosus organisierten Treffen mit dem zypriotischen Regisseur Panikos Chrysanthou auf der Akamas-Halbinsel kennen. Zuerst entdecken sie die Schönheiten der Küste vom Boot aus oder auf einer Wanderung: Gerne glaubt man, dass hier die Liebesgöttin Aphrodite in einer Süßwasserquelle inmitten üppiger Vegetation und wilder Feigenbäume badete. Später dann treffen sie den Regisseur des Films „Akamas“ in einem Dorf. Den Film haben die Gäste schon zwei Tage zuvor im Hotel gesehen. Das Drehbuch entstand nach einer wahren Geschichte: Mitte der 1950er-Jahre verlieben sich im Dorf Androlikou die griechischzypriotische Bäuerin Hambou und der türkischzypriotische Bauer Hassan. Doch zu dieser Zeit ist eine Verbindung einer christlichen Frau mit einem muslimischen Mann undenkbar. Wie es die beiden dennoch gegen allen Widerstand der Dorfbewohner und der Kirchenoberen schaffen, ihre Liebe zu leben, davon erzählt der Film.
Nach dem Gespräch mit dem Regisseur, das in unmittelbarer Nähe zu dem Ort stattfindet, in dem sich diese Geschichte zugetragen hat, gehen die Studiosus-Gruppen oft noch auf den örtlichen Friedhof und besuchen das Grab von Hambou und Hassan, die sogar darum kämpfen mussten, nebeneinander beerdigt zu werden.
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Zypern, das Jahrhunderte unter osmanischer und seit 1878 unter britischer Herrschaft stand, erlangt 1960 seine Unabhängigkeit. 1963 kommt es zu einem Bürgerkrieg zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken. Friedenstruppen der UNO trennen die Kontrahenten. Nach einem Militärputsch besetzt die Türkei den Nordteil der Insel. Es folgen ein Bevölkerungsaustausch und die Einrichtung einer militärischen Sperrzone, der Green Line. Sie trennt die Republik Zypern im Süden von der sog. „Türkischen Republik Nordzypern“, die völkerrechtlich nur von der Türkei anerkannt wird.