VOM GLASSCHERBENVIERTEL ZUM GALERISTEN-HOTSPOT
Schon der Name klingt vielversprechend: Seit einigen Jahren liegt das Viertel Woodstock in Kapstadt bei Künstlern, Hipstern und Touristen voll im Trend.
Waren es findige Immobilienunternehmer, die die alten Industriehallen in hippe Lofts verwandelten? Oder die Eigentümer von Business-Parks, die hier und in angrenzenden Vierteln gebaut wurden? Oder Künstler und Kreative, die wegen der günstigen Mieten und alten Industriekultur hergezogen sind und nach und nach Galeristen, Werber, Starköche anlockten? Warum das einstige Industrie- und Armenviertel Woodstock – östlich des Zentrums zwischen Containerhafen und Tafelberg gelegen – heute so hip und trendy ist, ist umstritten. Einig aber sind sich alle darin, dass eine alte Keksfabrik dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Kunst statt Keks
Die Old Biscuit Mill am Ende der Albert Road gilt als das Highlight von Woodstock schlechthin. Die Backsteinfassaden der alten Keksfabrik wurden vor zehn Jahren aufwändig renoviert, auf das Gelände zogen Highclass-Designerläden, Werbeagenturen, Kunsthandwerker-Shops, Galerien, Coffee Labs und jede Menge Kneipen und Restaurants. Darunter sind auch zwei der besten Restaurants Südafrikas: The Test Kitchen und The Pot Luck Club. Hier heißt es am besten Wochen, wenn nicht gar Monate (im Fall von The Test Kitchen) im Voraus reservieren, ansonsten aber kann in die Old Biscuit Mill kommen, wer möchte. Und das tun auch jede Menge Leute. „Die Biscuit Mill ist absolut im Trend“, sagt Studiosus-Reiseleiterin Jasmin Johnson, die selbst bis vor Kurzem im angrenzenden Stadtteil Observatory gelebt hat. „Vor allem am Samstagvormittag, wenn der Neighbourgood-Market stattfindet, ist hier die Hölle los. Einheimische und Touristen drängen sich dann gemeinsam zwischen den Essens- und Verkaufsständen und probieren sich durch die Küchen der Welt.“
Doch nicht nur die Old Biscuit Mill zieht Hipster und Künstler nach Woodstock. Da gibt es noch die Woodstock Exchange, ein großes Gebäude mit gemischter Nutzung, wo Büros untergebracht sind, aber eben auch kleinere Cafés und Restaurants, ein ausgefallener Schokoladenshop und kreative Hairstylisten. Einen Besuch lohnt auch die Woodstock Foundry. In diesem liebevoll renovierten Gebäude haben sich Galerien, zum Beispiel für Bronzeskulpturen und Fotografie, angesagte Modeläden und Restaurants versammelt.
Galerien-Hopping in Woodstock
Auf Künstler und Kunstinteressierte warten außerdem viele besuchenswerte Galerien rund um die Sir Lowry Road. Jürgen Groh, der vor Kurzem in München eine Galerie für afrikanische Kunst eröffnet hat, findet hier regelmäßig Inspirationen und Kontakt zu Künstlern. „Ich bin ein- bis zweimal jährlich in Kapstadt, um mich mit Künstlern, die ich in meiner Galerie vertrete, zu treffen, und mich nach neuen interessanten Malerinnen und Malern umzusehen. Ein Besuch in der Stevenson Gallery, der Woodstock Gallery oder dem Richard Scott Arts Studio lohnt sich immer.“ Hier findet man in wechselnden Ausstellungen Werke von südafrikanischen Künstlern – keine traditionelle afrikanische Kunst, wie man sie oft in Touristenshops kaufen kann, sondern zeitgenössische Werke von Künstlern, die oft auch schon international erfolgreich sind. In Woodstock hat Jürgen Groh zum Beispiel auch Tafadzwa Tega kennengelernt, einen international renommierten Künstler aus Zimbabwe, der jetzt in der Stadt am Kap arbeitet. Von seinen Tapetenmotiv-Bildern ist Groh ganz begeistert und möchte den Künstler demnächst in seiner Galerie vertreten.
In Jürgen Grohs Galerie in München sind Werke von weißen und schwarzen Südafrikanern zu sehen. Gibt es da Unterschiede? „Ich finde schon. Schwarze südafrikanische Künstler sind Storyteller, sie erzählen mit ihren Werken kleine Geschichten, zum Beispiel aus ihrem Leben im Township. Weiße südafrikanische Künstler malen eher abstrakt und orientieren sich mehr an moderner europäischer oder amerikanischer Kunst. Aber spannend sind für mich beide Ansätze", meint Jürgen Groh.
Street-Art mit Blick auf den Tafelberg
Kunst versteckt sich in Woodstock nicht nur in Galerien, sondern prangt stolz auf vielen Wänden. „Woodstock ist auch für seine Street-Art bekannt. Ich empfehle meinen Gäste, die sich dafür interessieren, in ihrer freien Zeit an einer geführten Street-Art-Tour teilzunehmen. Das ist sicherer, als alleine durch die Gegend zu bummeln, und so sieht und erfährt man auch mehr“, sagt Jasmin Johnson. Wer ihrem Ratschlag folgt, bekommt einiges zu sehen: einen schwimmenden Elefanten vor der Kulisse des Tafelbergs, von Pflanzen umrankte Häuser, abstrakte Muster, dreidimensionale Giraffen und Gorillas oder an Banksy erinnernde Stencils. Die Guides kennen jeden Hinterhof und jedes Graffiti und können zu jedem Street-Art-Künstler spannende Geschichten erzählen. Interessant ist, dass hier nicht nur Südafrikaner sprayen, sondern die internationale Sprayer-Szene zusammenkommt. So leuchten auch Werke von britischen, israelischen, französischen oder argentinischen Künstlern von den Wänden. Und auch zur Geschichte des Viertels wissen die Guides Interessantes zu berichten: warum die hier ansässigen Glas- und Textilfabriken in den 1970er-Jahren pleitegingen, wie Woodstock zu einem gefürchteten Hort von Drogen- und Straßenkriminalität wurde, wie Künstler und Immobilienentwickler sich im Viertel ausbreiteten – und in welche Ecken man besser immer noch nicht geht.
Getreidespeicher als Kunstkathedrale
Wer sich für (süd-)afrikanische Kunst interessiert, sollte aber nicht nur die Galerien in Woodstock abklappern oder dort auf Street-Art-Tour gehen, sondern unbedingt auch einen Besuch im neuen Museums-Highlight Kapstadts, dem Zeitz Museum of Contemporary African Art MOCAA, einplanen. Das steht zwar an der Waterfront und nicht in Woodstock, ist aber unbedingt ein „place to be“! Nach zwölf Jahren Bauzeit wurde das Museum für afrikanische Kunst 2018 eröffnet. Grundstock des Museums ist die Kunstsammlung des Ex-Puma-Managers Jochen Zeitz. Noch im Jahr der Eröffnung listete das TIME-Magazin das MOCAA unter die 100 Top-Destinationen der Welt. Und vom Wallpaper-Magazin, das auf Design, Architektur und Lifestyle spezialisiert ist, wurde es zum schönsten öffentlichen Gebäude der Welt gekürt. Das Museum ist in alten Getreidespeichern am Hafen untergebracht, und die Architektur ist atemberaubend. „Auch wenn man sich die riesige Kunstsammlung nicht an einem Tag – und auch nicht an zwei – ansehen kann, sollte man bei einem Besuch doch durch das ganze Gebäude gehen“, schwärmt Jürgen Groh. „Die Architektur ist einfach umwerfend und das Museum ist ein gutes Beispiel dafür, dass man in Kapstadt von der Innenarchitektur und dem Design her Europa oft meilenweit voraus ist. Schon das neun Stockwerke hohe Atrium wirkt wie ein Kirchenschiff.“
Und welche Werke sollte man sich unbedingt ansehen, wenn man den Blick schließlich doch von der Architektur abwenden kann? „Meine Favoriten sind die pink-blauen Aquarelle von Banele Kohza. Und als echter Fan von Porträts sehe ich immer auch bei den wirklich abgefahrenen surrealen Selbstporträts des Kenianers Cyrus Kabiru vorbei.“
Während in den ehemaligen Getreidespeichern am Hafen Werke arrivierter afrikanischer Künstler zelebriert werden, reift in den Ateliers und Galerien von Woodstock die nächste südafrikanische Künstlergeneration heran – dort, wo Jürgen Groh seine Runden dreht auf der Suche nach neuen Talenten, und Jasmin Johnson ihre Gäste gerne mal auf Street-Art-Tour schickt.
Außerdem wissenswert
Entspanntes Bummeln wie in europäischen Städten ist in Woodstock wie auch in vielen anderen Vierteln Kapstadts für Touristen leider nicht angesagt. Reiseleiterin Jasmin Johnson: „Natürlich kann man auf den beiden Hauptstraßen in Woodstock ein Stück zu Fuß laufen. Aber ich empfehle, eher gezielt mit dem Taxi zu den Highlights wie der Old Biscuit Mill oder den Galerien zu fahren. Gerade wer sich in der Gegend nicht auskennt, unsicher wirkt und stirnrunzelnd in sein Handy starrt, kann auch mal leicht Beute von Trickdieben oder Straßenräubern werden.“
Neben dem mittlerweile weltberühmten Zeitz MOCAA wurde in Kapstadt 2018 ein weiteres bemerkenswertes Kunstmuseum eröffnet, die Norval Foundation. Sie liegt etwas außerhalb Kapstadts südlich von Constantia an der Weinroute und widmet sich der südafrikanischen und afrikanischen Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Besonders beeindruckend ist der große Skulpturengarten. Einzigartig: Hier kann man eine Nacht im Museum – in einem Künstler-Appartement – verbringen und sich anschließend vom Kurator führen lassen.
Wer in Südafrika hochwertige, zeitgenössische Kunst kauft, muss darauf achten, die Werke bei der Einreise nach Deutschland zu verzollen.
In München hat sich die Galerie „Soul of Afrika“ von Jürgen Groh auf zeitgenössische Kunst aus Afrika spezialisiert. Einen Überblick über Werke und Künstler gibt es auf https://soulofafrika.com.