Polarlichter

Wenn der Himmel klar ist, besteht die Möglichkeit, dass Sie innerhalb der nächsten Stunde Nordlichter sehen.“ Die Benachrichtigung der Polarlicht-App setzt die beiden Berliner Touristen Thomas und Jana in Bewegung. Nach einer Schneewanderung ins Tal Reykjadalur im Süden Islands hatten sie es sich in ihrem Hotel im nahegelegenen Städtchen Hveragerdi gemütlich gemacht, doch jetzt, kurz nach 22 Uhr, heißt es: wieder runter von der Couch. Jana öffnet das Fenster und wirft einen kurzen Blick Richtung Himmel. Einige Sterne leuchten zwischen vereinzelten Wolkenbergen hindurch: „Könnte klappen“, sagt sie. Die beiden Urlauber packen sich dick ein und fahren mit ihrem Mietwagen ein paar Kilometer raus aus dem Ort, weg von den Lichtern der Menschen. Denn Polarlichter mögen es dunkel.

Es ist klirrend kalt in dieser isländischen Winternacht. Trotz Handschuhen fühlen sich die Hände wie Eisklötze an, und auch der Nacken schmerzt langsam vom ständigen In-die-Luft-starren. Außer Thomas und Jana ist niemand hier. Der Wanderparkplatz am Rand von Hveragerdi ist in völlige Dunkelheit getaucht, nur in der Ferne leuchtet ein riesiges Gewächshaus wie ein orangefarbenes UFO, das gerade gelandet ist. Das UFO ist nach einer Stunde Warten dann auch erst einmal das Einzige, womit sich das Universum bemerkbar macht. Keine Polarlichter heute für Thomas und Jana. Verfroren steigen die beiden in ihr Mietauto und fahren zurück ins warme Hotel.

Wer einmal Polarlichter gesehen hat, wird diesen Anblick nie mehr vergessen.

Ein Gruß von der Sonne

Einmal Polarlichter sehen, das ist der Traum vieler Menschen. Schon seit Jahrtausenden fasziniert das Himmelsspektakel: Die alten Wikinger meinten ihre Götter darin wiederzuerkennen, die Sami hingegen fürchteten es als böses Omen. Das Naturphänomen hat viele Namen: Polarlicht, Nordlicht, Aurora borealis – oder auch Green Lady, ein Begriff, der die Eleganz und Leichtigkeit der Lichter gut umschreibt. Wie ein Schleier wehen sie über den Nachthimmel, drehen sich, hüpfen auf und ab. Manchmal sind sie plötzlich wie per Lichtschalter ausgeknipst, um Minuten später an anderer Stelle genauso unverhofft wieder aufzuflammen. Ein schöner Anblick – vor allem, wenn man bedenkt, welche Naturgewalt dahintersteckt. Es handelt sich, kurz gesagt, um „den Sonnenwind, der mit Geschwindigkeiten zwischen 300 und 800 km/s radial von der Sonne abstrahlt. Er besteht aus einem Strom von Wasserstoffionen und Elektronen. Dieser gerät in den Einflussbereich des Erdmagnetfeldes“, wie das Wissenschaftsmagazin Spektrum beschreibt. Durch das Eintreffen in die Atmosphäre erzeugen die Partikel Farben und Formen, die sich wie ein Ring um die Polregionen ziehen und die wir als Aurora kennen.

Mit viel Glück lassen sich Polarlichter auch in Islands Hauptstadt Reykjavik beobachten – wie hier über der Hallgrimskirkja.

Ein Sonnenwind, der den Wintertourismus in den nordischen Ländern in den letzten Jahren stark angekurbelt hat. Vielerorts haben sich die Gästezahlen vervielfacht, und immer mehr Angebote schießen aus dem Boden, um den Touristen auch bei kurzer Aufenthaltsdauer das Erlebnis Polarlicht zu ermöglichen. Es gibt Touren per Schiff und Bus sowie festinstallierte Camps im Nirgendwo, in denen die Gäste am Lagerfeuer auf die Polarlichtshow warten. Eine Garantie gibt es hier natürlich auch nicht. Thomas und Jana haben schon einmal an einer Bustour in Nordnorwegen teilgenommen: „Wir sind rund zehn Stunden lang auf der Suche nach den besten Bedingungen durch die Gegend gefahren und saßen dann irgendwo an der finnischen Grenze in der Kälte. Weit nach Mitternacht waren wir wieder im Hotel – ohne auch nur einen Hauch von Polarlicht gesehen zu haben“, erzählt Thomas.


So klappt es mit der Polarlichtjagd

Wer sich auf eigene Faust auf die Suche nach der Green Lady machen will, kann seinem Glück ein bisschen nachhelfen. Es gibt vier Faktoren, die einen entscheidenden Einfluss auf die Sichtungschancen haben: der Ort, das Licht, das Wetter und der sogenannte KP-Index.

Ort: Der Name sagt es schon – Polarlichter sind hauptsächlich in den Polregionen zu sehen. Aurora borealis ist der wissenschaftliche Name für Nordlichter, Aurora australis bezeichnet Südlichter. Je mehr man sich dem Polarlicht- Ring der nördlichen bzw. südlichen Hemisphäre nähert, desto größer ist die Chance auf Polarlichter. Neben Island sind auch Grönland sowie die nördlichsten Regionen Norwegens, Schwedens, Finnlands, Russlands und Kanadas die besten Spots für Nordlichter. Südlichter sind in der Regel nur in der Antarktis zu sehen.
Licht: Kaum zu glauben, aber Polarlichter sind immer da. Man sieht sie jedoch nur, wenn es dunkel ist. Deshalb sind die Herbst- und Wintermonate mit ihren langen Nächten die beste Zeit, um Aurora borealis zu beobachten – manchmal sind aber auch Sichtungen im August oder April möglich. Dazu kommt die Lichtverschmutzung: Störende Einflüsse wie Straßenbeleuchtungen oder beleuchtete Gebäude erschweren die Sicht auf den Nachthimmel. Deshalb: ab in die Natur!
Wetter: Hier zählt nur eins – ein klarer Himmel. Ist es zu bewölkt, kann man sich das Bibbern in der Kälte sparen. In Island liefert der staatliche Wetterdienst eine gute Wolkenvorhersage.
KP-Index: Diese Kennziffer misst die geomagnetische Aktivität und gibt an, wie stark der Sonnenwind ist – vereinfacht gesagt. Am Wert können Beobachter nicht nur ablesen, wie intensiv eine Aurora zu sehen sein wird, sondern auch, wie weit entfernt vom Polarlicht-Ring sie sichtbar sein könnte. Die einfache Faustregel: Je höher der KP-Index, desto höher die Chance. Verschiedene Apps, zum Beispiel Aurora, liefern gute Vorhersagen für den KP-Index und zusätzliche Informationen zur Beobachtungswahrscheinlichkeit und Wolkenabdeckung.
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Verlässlicher Begleiter bei der Polarlichtsuche: Die kostenlose App „Aurora“ zeigt den aktuellen KP-Wert vor Ort an, liefert Infos zur Wolkenabdeckung und gibt Ausblicke auf die folgenden Tage.

Eine Frage von Glück oder Pech

Wichtig ist auch, dass man genügend Zeit mitbringt – und nicht zu hohe Erwartungen hat. „Ich wusste vorher nicht, dass sich Polarlichter manchmal nur als gräuliche Schleier am Himmel zeigen und erst auf Fotos ihre volle Farbpracht entfalten“, sagt Thomas. Jana ergänzt: „Wir haben uns deshalb angewöhnt, erst einmal ein Bild mit unserer Spiegelreflexkamera zu machen, wenn wir den Verdacht haben, dass da ein Polarlicht am Himmel ist. Dann haben wir den Beweis, ob wir Recht hatten oder nicht.“ Doch sogar wenn alle Bedingungen stimmen, kann man auch einfach Pech haben: „So wie wir auf unserer Bustour in Norwegen. Oder wie Freunde von uns, die eine Woche in Island waren und kein einziges Polarlicht gesehen haben“, sagt Jana.

Farbenspiel über der Gletscherlagune Jökulsárlón.

Doch die beiden Polarlichtjäger aus Berlin hatten das Glück schon oft auf ihrer Seite: „Während einer früheren Island-Reise haben wir jeden Abend Polarlichter gesehen – sieben Mal hintereinander und sogar auch in Reykjavik direkt über der Hallgrimskirkja“, erzählt Thomas. Und auch am Abend nach ihrem Versuch in Hveragerdi dürfen die beiden Berliner das Naturphänomen genießen. Sie sitzen im Auto und sind eigentlich auf dem Weg in den nächsten Übernachtungsort, als sich plötzlich der Himmel über ihnen anknipst: The Green Lady in ihrer vollen Pracht! „Es war auf einmal alles grün und zum Teil sogar auch lila. Über eine Stunde lang!“, schwärmt Thomas. Ein unvergessliches Erlebnis, das immer wieder aufs Neue fasziniert. Und wer trotz guter Bedingungen und Vorbereitung keinen Blick auf das Spektakel erhaschen kann, den erwartet auf dem Rückflug von Island vielleicht ein kleines Trostpflaster: Eine Maschine der Icelandair zaubert dank LED-Lichtshow eine eigene kleine Aurora an die Kabinendecke – für so manchen Passagier fesselnder als das Bordprogramm.


Tipp: So lassen sich Polarlichter mit der Kamera am besten einfangen

Stativ nutzen (elektronische Bildstabilisierung ausschalten).
Belichtungszeit auf zwei bis vier Sekunden einstellen, man kann aber auch mit längeren Belichtungszeiten experimentieren – je nach Intensität der Aurora und Lichtverschmutzung. Merke: Je länger die Belichtung, desto niedriger kann der ISO-Wert sein.
Einen hohen ISO-Wert einstellen – aber so, dass das Bild nicht zu sehr rauscht. 1600 bis 3200 sind gute Startwerte.
Lichtstarkes (Weitwinkel-) Objektiv mit kleiner Blende nutzen, z. B. 1,4.
Kameraeinstellung vorher schon am Nachthimmel testen, damit Sie dann entspannt loslegen können, sobald Aurora auftaucht.
Kamera auf manuellen Fokus stellen, Autofokus ausschalten und manuell auf weit entfernte Objekte wie z. B. Sterne scharfstellen.

Und nicht vergessen: Das Spektakel auch mal ohne Kamera genießen.