Permakultur auf dem Peloponnes: Landwirtschaft als Lebensphilosophie
Sheila Darmos kniet sich nieder, im Schatten von grünen Blättern einer wilden Feige. Sie lässt Erde durch ihre Finger rieseln. Fruchtbare, feuchte Erde, die alles andere als selbstverständlich ist für den Peloponnes mitten im Sommer. Einen Regenwurm vergräbt sie behutsam wieder im Boden. Für diejenigen, die einen regenerativen Anbau betreiben, sei er der beste Freund, sagt sie. Während ihre zwei Hektar große Farm Silver Leaf in dem kleinen Dorf Asprogeia in der Region Sparta eine wahre Oase der Biodiversität ist, mit Orangen-, Oliven- und Obstbäumen, Weintrauben, Passionsfrüchten, Salaten und Kräutern aller Art, sind viele Böden in der Nachbarschaft erodiert, rissig vor Trockenheit, gezeichnet von Monokulturen und dem jahrzehntelangen Einsatz von Pestiziden.
Vor 30 Jahren wandelte Sheilas Vater Stavros das Land, das sie heute bewirtschaftet, in eine Biofarm um. „Er war ein Revolutionär – im besten Sinne“, erzählt sie stolz. „Damals war Bio noch gar nicht in Mode, doch er setzte als einer der ersten in Griechenland auf natürliche Anbaumethoden und verwendete keine Chemie. Um den Boden fruchtbarer zu machen, häckselte er die von den Bäumen abgeschnittenen Äste anstatt sie zu verbrennen, wie es die Bauern traditionell tun.“ Das Ergebnis kommt seiner Tochter noch Jahrzehnte später zugute, denn durch das Verteilen der zerschnittenen Holzstückchen unter den Bäumen und Büschen bildete sich eine dicke Schicht aus organischer Materie, die immer weiter anwuchs, den Boden mit wichtigen Nährstoffen versorgte, Feuchtigkeit speicherte und ihn fruchtbar machte.
Heute liegt Griechenland im Bereich biologische Landwirtschaft mit über 10 Prozent bewirtschafteter Fläche EU-weit im vorderen Drittel – noch vor Deutschland. Da die Europäische Union den Umstieg auf Bio in Griechenland zukünftig finanziell unterstützen will, haben sich 68.000 Bauern für die Förderung beworben. Doch die bürokratischen Mühlen mahlen langsam, und so werden derzeit immer noch viele landwirtschaftliche Flächen konventionell bewirtschaftet. Das Ergebnis: Durch steigende Temperaturen, immer geringere Regenfälle sowie starke Winde sind ausgedorrte Felder, aber auch große, zusammenhängende Olivenplantagen sowie Wälder aus Nadel- und Eukalyptusbäumen ein gefundenes Fressen für Brände. Im Jahr 2023 zählt Griechenland, mit den verheerenden Bränden auf Rhodos und Korfu, zu den Feuerhotspots im Mittelmeerraum.
Sheila gehört zu einer noch kleinen Gruppe von Landwirten in Griechenland, die nicht nur auf Bio, sondern auf Permakultur setzt. „Zur Philosophie der Permakultur gehört auch, sich mit eventuellen Gefahren zu beschäftigen und eine Strategie zu entwickeln, wie man ihnen begegnen kann“, sagt die 35-Jährige. „Eine der größten Herausforderungen sind sicherlich Waldbrände. Wir bauen um unsere Farmen Feuerwälle aus Hecken, die aus nicht so leicht brennbaren Pflanzen wie dem Affenbrotbaum oder der Kaktusfeige bestehen. Außerdem fangen wir während der Niederschlagsperiode Regenwasser auf, das uns nicht nur über die trockenen Sommermonate hinweghilft, sondern zur Not als Löschwasser dient. Wichtig ist, dass es mehrere, über das Farmgelände verteilte Wasserreservoirs gibt, die im Falle eines Feuers schnell zugänglich sind.“ Sie gesteht allerdings auch, dass besonders bei starkem Wind die besten Vorsichtsmaßnahmen gegen die Zerstörungswut des Feuers nur schwer ankommen.
Bisher blieb Sheilas Farm von Feuerkatastrophen verschont und ist dank des fruchtbaren Bodens, den ihr Vater im wahrsten Sinne des Wortes bereitet hat, ein wahrer Dschungel. Manche Nachbarn rümpfen die Nase und finden, dass Farmland gepflegter aussehen müsse, denn in das gewohnte Bild einer Orangen- oder Olivenplantage passen die dazwischen wuchernden Feigen- und Maulbeerbäume, das hohe Gras und die wilden Kräuter so gar nicht. Doch Sheila folgt ihrem Instinkt. „Je öfter ich mir die umliegenden Grundstücke mit ihren ausgetrockneten und erodierten Böden ansah – und im krassen Gegensatz dazu meinen wilden Wald –, desto mehr fühlte ich mich bestärkt, auf die Natur und die Prinzipien der Permakultur zu vertrauen.“
Die Vegetation auf ihrer Farm wirkt auf den ersten Blick chaotisch, doch tatsächlich verbirgt sich dahinter eine ausgetüftelte, detaillierte Planung. Büsche wachsen in Kombination mit größeren Bäumen, während andere Pflanzen wiederum unterhalb dieser Büsche wachsen und große Teile des Bodens bedecken. Kletterpflanzen wie Weintrauben oder Passionsfrüchte können an den größeren Pflanzen hochklettern – und bieten wichtigen Lebensraum für Bienen und andere nützliche Insekten. „Unsere Pflanzen sind so angeordnet, dass sie sich gegenseitig fördern und nicht behindern“, sagt Sheila. „Wir versuchen, den vertikalen und horizontalen Raum optimal auszunutzen und kombinieren deshalb unterschiedlichste Pflanzen geschickt miteinander. Ziel ist es, nicht nur Bäume in einer Schicht und von einer Sorte zu haben.“ Die Vegetation umfasst auch solche Pflanzen, die auf den ersten Blick nicht wirtschaftlich sind, sprich: Sie tragen keine Früchte, die sich verkaufen lassen. Sie unterstützen „nur“ das System. Nur? Sheila schüttelt vehement den Kopf. „Ihr Wert ist für uns immens. Jede Pflanze erfüllt ihre ganz bestimmte Aufgabe und ist ein wichtiges Rädchen im Getriebe.“
Bis 2011, als sie mit nur 24 Jahren die Farm übernimmt, hat Sheila noch nie etwas von Permakultur gehört. Nach ihrem Soziologie-Studium, das sie in Deutschland mit dem Bachelor abschließt, ist sie gerade auf der Suche nach einem Job bei einer internationalen Hilfsorganisation. „Da erkrankte mein Vater schwer, und ich kehrte nach Griechenland zurück, um ihn zu pflegen und mich nebenbei um die Farm zu kümmern. Jahre später stellte sich heraus, dass mein Lebensweg im Grunde eine Fortführung seines Lebensweges ist“, erinnert sie sich. Als viele junge Griechen und Griechinnen das krisengeschüttelte Land verlassen, baut sie sich eine Existenz als Biobäuerin auf. Doch der Anfang gestaltet sich schwierig. Schulden hatten sich angehäuft, und organisatorisch herrschte ein ziemliches Chaos. „Mein Vater hatte nie etwas aufgeschrieben, er hatte alles im Kopf.“ Weil ein Mentor in Sachen Betriebswirtschaft fehlt, verschlingt Sheila jede Menge Bücher, um herauszufinden, wie man ein Unternehmen am besten leitet. Mit dem Grundlagenwerk für selbstorganisiertes Arbeiten „Reinventing Organizations“ von Frédéric Laloux hat sie ihre persönliche Inspirationsquelle gefunden. Das Erfolgsrezept des belgischen Wirtschaftsphilosophen umfasst ganzheitliches, nicht nur gewinnorientiertes Denken sowie flexible Hierarchien.
Sheila stellt fest, dass Social Entrepreneurship für sie als Unternehmerin – und als Soziologin – der einzig gangbare Weg in die Zukunft ist: „Mein Betrieb soll der Umwelt und den Menschen, egal ob Mitarbeitern, Lieferanten oder Kunden, guttun. Und welche Methode könnte dazu besser passen als Permakultur?“ Denn Permakultur orientiert sich nicht zuerst an wirtschaftlichen, sondern an ethischen Grundsätzen: „Earthcare“ – die Erde als Quelle allen Lebens ist besonders schützenswert; „peoplecare“ – für alle Menschen sollen die Lebensgrundlagen zugänglich sein; und „fairshare“ – die Ressourcen sollen gerecht geteilt werden. „Für mich ist Permakultur nicht nur eine landwirtschaftliche Methode“, sagt Sheila, „sie ist eine Philosophie, die mein ganzes Leben bestimmt.“
In dem Wort Permakultur stecken zwei englische Begriffe – permanent und agriculture. Es geht um Verantwortung für die Zukunft, um die dauerhafte Sicherung der Lebensgrundlage für alle Lebewesen. Menschen, Tiere und Pflanzen stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern helfen sich gegenseitig. „Tiere leisten einen wertvollen Beitrag, um das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten“, sagt Sheila. „Sie sind ideale Schädlingsvernichter, Resteverwerter, Rasenmäher und Produzenten natürlichen Düngers.“ Jedes noch so kleine Lebewesen könne einen entscheidenden Beitrag zu einem funktionierenden Ökosystem leisten. Biodiversität sei das A und O, denn so könne man das Risiko streuen. „Wenn beispielsweise die Olivenernte mal nicht so gut ausfällt wie erwartet, dann mache ich mir darüber keine Sorgen. Schließlich haben wir andere Produkte, die unseren Lebensunterhalt sichern.“ In großen Monokulturen nehmen Schädlinge schnell überhand, die sich nur durch Pestizide beseitigen lassen. „Wir haben festgestellt“, sagt Sheila, „dass sich einzelne Arten inmitten einer Vielfalt von Pflanzen nicht mehr unkontrolliert ausbreiten können. Die Kombination aus Bäumen, Hecken und Wiesen bieten das perfekte Zuhause für zahlreiche Nützlinge, die die Schädlinge auf natürlichem Weg bekämpfen. Außerdem schützen Hecken und Obstbaumreihen vor Wind, festigen den Boden und machen ihn zu einem besseren Wasserspeicher. Und obendrein sorgen sie für eine zusätzliche Ernte.“
Eine Permakulturfarm aufzubauen und zu betreiben, erfordert viel Wissen. Wissen, das man bis jetzt aber kaum an Universitäten und Ausbildungsstätten der Landwirte findet. „Die Wissenschaft hat die Permakultur bisher noch nicht besonders stark in den Fokus genommen“, bedauert Professor Thomas Döring, Leiter des Fachbereichs Agrarökologie und Organischer Landbau an der Universität Bonn. „Wir sind bei der Permakultur, was die wissenschaftliche Betrachtung angeht, an einem Punkt, wo wir beim Ökolandbau vor 40 Jahren waren“, sagt er gegenüber dem Deutschlandfunk. Die Ideen der Ökopioniere seien auch lange belächelt worden. Heute machen Bioprodukte Milliardenumsätze.
Von Milliardenumsätzen ist Sheila weit entfernt. Neid habe sie nie gespürt, sagt sie und lacht: „Ich besitze kein teures Auto oder luxuriöses Haus. Das sind vielleicht Dinge, auf die manche Menschen neidisch sein könnten, auf eine funktionierende Landwirtschaft sind sie es jedenfalls nicht.“ Ganz im Gegenteil: Mittlerweile fragen immer mehr Landwirte um Rat, wollen dem Beispiel von Silver Leaf folgen. Denn sie sehen, dass dort trotz zunehmender Hitze und Dürre mehr denn je verschiedene Arten von Bäumen, Sträuchern, Kräutern und Gemüse gedeihen. Bereitwillig gibt Sheila ihr Know-how weiter, hat dafür sogar die gemeinnützige Organisation „The Southern Lights“ gegründet. Interessenten lädt sie ein, sich auf ihrer Farm ein eigenes Bild zu machen. Workshops und kostenlose Lehrvideos bieten Hilfe zur Selbsthilfe. Am wichtigsten ist Sheila jedoch, Menschen zusammenzubringen. „Jeder kann von jedem lernen“, sagt sie. „Die größte Hürde war, dass sich die Leute gerne ausgetauscht hätten, sich aber nicht kannten.“ Daher sei das Netzwerk, das alle Öko- und Permakulturprojekte in ganz Griechenland umspannt, die vielleicht wichtigste bisherige Leistung von „The Southern Lights“. „Je größer unser Netzwerk und besser die Öffentlichkeitsarbeit ist, desto mehr Landwirte werden davon erfahren. Und je mehr wir sind, desto mehr können wir bewirken.“
Lust darauf, Permakultur im eigenen Garten auszuprobieren? Dieses Buch von Sabrina Wagner ist der perfekte Ratgeber: „Permakultur leben: Denken wir die Welt neu – mit permakulturellen Prinzipien.“ Löwenzahnverlag, 2023. Gewinner des Deutschen Gartenbuchpreises 2023.
Und wenn Sie den Peloponnes einmal selbst besuchen möchten, haben Sie mit Studiosus natürlich die Möglichkeit dazu: auf unseren Peloponnes-Reisen.