Flüssiges Gold
Hier beginnt der Tag mit einem kräftigen Schuss Olivenöl. Ein Frühstück in Andalusiens Olivenregion besteht oft aus nichts weiter als Weißbrot, Olivenöl, Tomaten und Kaffee. Das gibt den Olivenbauern, ihren Saisonarbeitern – und zunehmend auch den Oliventouristen – den richtigen Kick für den Tag.
„Gekämmte“ Hügel
In Andalusien liegt das größte Olivenanbaugebiet der Welt. Wer über die Landstraßen zwischen Córdoba, Jaén und Granada fährt, kommt vorbei an unzähligen Olivenplantagen, die sich über die sanft geschwungenen Hügel ziehen. Die Hügel sehen aus wie „gekämmt“ – so hat es der spanische Dichter Antonio Machado (1875 – 1939) formuliert. Die Ölbäume stehen in Reih und Glied wie Soldaten einer riesigen Armee. Rund 300 Millionen sollen es in Andalusien sein.
Weltmarktführer Andalusien
70 Prozent der weltweiten Olivenölproduktion stammen aus Spanien, 70 Prozent davon werden in Andalusien hergestellt. Während das spanische Olivenöl lange Zeit als preiswertes Öl vor allem in den Export nach Italien und Griechenland ging, um dort mit den einheimischen Ölen verschnitten zu werden, wird mittlerweile mehr Wert auf Qualität gelegt – und das mit großem Erfolg.
Kersten Wetenkamp, Olivenölexperte bei der Zeitschrift „Der Feinschmecker“, fährt daher immer wieder nach Andalusien, um die besten Öle zu verkosten und besonders ambitionierte Olivenölproduzenten kennenzulernen. Zum Beispiel Juan de García, der gemeinsam mit seiner Schwester Paula die Firma O-Med an die Weltspitze gebracht hat. Oder José Antonio Nieto von Almazaras de la Subbética, der größten und erfolgreichsten Olivenölgenossenschaft der Welt. Ihre Produkte erreichen nicht nur bei den Olivenöl-Awards des „Feinschmecker“ regelmäßig vordere Plätze. Oder die Geschwister Rosa und Paco Vanó von Castillo de Canena, wohl Spaniens professionellstes und ehrgeizigstes Olivenölunternehmen.
Trendsetter im Olivenreich
Einen Besuch wert ist auch die Ölmühle der Brüder Nunez de Prado mitten in Baena. Schon in siebter Generation werden hier hochwertige Olivenöle produziert, das älteste noch genutzte Gebäude stammt von 1795. Die Familiengüter liegen außerhalb der Stadt und erstrecken sich über 700 Hektar, auf denen rund 100.000 Olivenbäume wachsen. Die Brüder Nunez de Prado waren echte Trendsetter in der Branche. Als sie vor mehr als dreißig Jahren begannen, ihre Oliven halb unreif schon im November zu ernten, wurden sie von den anderen Olivenbauern belächelt. Doch die bessere Qualität ihres Öls gab ihnen Recht. Auch begannen sie bereits Mitte der 1980er-Jahre damit, ihre Olivenbäume nach ökologischen Kriterien zu pflegen, seit 1990 ist das Öl bio-zertifiziert. Heute zählt ihr Spitzenprodukt „Blume des Öls“ zu den besten Bio-Olivenölen weltweit – und erfreut sich bei Gourmets bis nach Japan und den USA großer Beliebtheit.
Der Duft von Kräutern, Äpfeln und Bananen
Eine Olivenölverkostung läuft ähnlich ab wie eine Weinprobe: den Duft des Öls einsaugen, dann probieren, das Öl im Mund mit Luft vermischen, jeder Geschmacksnuance hinterherspüren, nach jedem Schluck den Geschmack im Mund mit einem Stück Brot oder Apfel neutralisieren. „Ein Olivenöl muss frisch nach Gras, Kräutern, Tomaten, Früchten wie Äpfel und Bananen duften und im Nachhall scharf schmecken – das ist das Zeichen für die Frische der Oliven und eine zeitige Ernte,“ erklärt Kersten Wetenkamp.
Studiosus-Reiseleiterin Tanja Rinne-Knedel begleitet ihre Gruppen in Andalusien immer wieder zu Olivenölproben oder führt selbst welche durch, zum Beispiel im Rahmen eines Picknicks. „Ich habe dann in der Regel drei verschiedene Olivenöle dabei, die ich in weiße Untertassen gieße und die Gäste mit Brot austunken lasse. Wir sehen uns die unterschiedlichen Farben, mal grünlich, mal gelblich, an und versuchen, die Unterschiede herauszuschmecken. Ich biete Öle aus verschiedenen Olivensorten an, einmal aus der Picual-Olive, der in Andalusien am weitesten verbreiteten Sorte. Dann aus der Hojiblanca-Sorte. Und schließlich habe ich oft noch eine ‚Blume des Öls‘, ein sogenanntes Tropföl dabei.“ Die Gäste sind meist sehr überrascht, wie unterschiedlich die Öle schmecken. Die Picual-Öle sind schärfer und intensiver, die Hojiblanca-Öle etwas milder und süßer. „Verblüfft sind meine Gäste auch immer wieder, wie bitter die Olivenöle im Abgang sein können. Das ist man in Deutschland nicht gewöhnt. Aber die leichte Bitterkeit ist ein Qualitätsmerkmal eines guten Olivenöls, betone ich dann immer“, sagt Frau Rinne-Knedel.
Ernten, schleudern, genießen
Der Aufwand, um hervorragendes Olivenöl herzustellen, ist vergleichbar mit dem beim Weinbau: Erntezeit für Oliven ist in Andalusien zwischen Anfang November und Januar. Je früher und unreifer die Oliven geerntet werden, desto besser der Geschmack des Olivenöls. Die Ernte muss zügig erfolgen, die Oliven dürfen dabei nicht verletzt werden, da sie sonst oxidieren und ihr Geschmack leidet. Frisch geerntet müssen sie umgehend, am besten innerhalb weniger Stunden, weiterverarbeitet werden und dürfen dabei keinen höheren Temperaturen als 27 Grad Celsius ausgesetzt werden. Mittlerweile wird das Öl meist nicht mehr von schweren Mühlsteinen aus den Früchten gepresst, sondern mithilfe einer Zentrifuge gewonnen. Ausnahme ist die „Blume des Öls“. Dieses Öl wird als allererstes Öl noch vor der Kaltextraktion gewonnen und wird allein durch das Eigengewicht der Olivenmasse „erpresst“. Dieses Tropföl ist teurer als andere hochwertige Olivenöle und noch einen Ticken besser.
Olivenkern-Weitspucken
Olivenöl ist fest in der andalusischen Kultur verwurzelt. Das zeigen auch die vielen Olivenfeste, die es zu Beginn oder am Ende der Erntesaison gibt. In Jaén zum Beispiel wird jährlich die Olivenprinzessin gewählt, im November feiert die Stadt Baena ein riesiges Fest, das sich ganz und gar um Oliven und Olivenöl dreht – und in Cieza gibt es den Olivenkern-Weitspuckwettbewerb. Die Champions befördern die Olivenkerne dabei mehr als 20 Meter durch die Luft!
„Oleoturismo“ auf dem Vormarsch
Zur Erntezeit im Herbst und Winter kann man sie sehen: Touristen, die mit langen Stangen auf Olivenbäume einschlagen und bei der Olivenernte helfen. Die Bauern geben ihnen dabei etwas nervös gute Ratschläge, denn wer nicht aufpasst, beschädigt die Oliven unnötig, sodass sie für gutes Öl unbrauchbar werden. Manche Olivenbauern, wie etwa die Brüder Nunez de Prado, lassen deshalb die Oliven sogar per Hand pflücken. In der Regel aber werden die Früchte auf den großen Plantagen maschinell mit Rüttelmaschinen geerntet.
Die Olivenregionen in Andalusien setzen zunehmend auf „Oleoturismo“ und wollen die Touristen von den Stränden und Städten weg und hinaus aufs Olivenland locken. Denn viele kleine Olivenbauern sind trotz EU-Subventionen auf zusätzliche Einnahmen angewiesen. So wurden zahlreiche „Rutas de los Olivos“ eingerichtet, an denen hübsche Dörfer und Ölmühlen liegen. Olivenölmuseen wie die Hacienda La Laguna bei Baez informieren über Olivenanbau und Olivenölproduktion, und natürlich kann man auch Ölmühlen besichtigen, Olivenöle verkosten – und kaufen.
Nicht immer läuft alles wie geschmiert
So sehr die Olive eine wirtschaftliche Stütze Andalusiens und ein Teil der andalusischen Kultur ist, so sehr belastet der intensive Plantagenanbau die Umwelt. Immerhin werden auf einem Fünftel der Fläche Andalusiens Olivenbäume in Monokulturen angebaut. Unter den Bäumen ist die Erde braun und droht zu versteppen. Während der einige Male im Jahr auftretenden sintflutartigen Regenfälle wird dann der Mutterboden weggeschwemmt und mit ihm die Nährstoffe. Den Rest des Jahres müssen die Olivenbäume hingegen bewässert werden, was Flüsse versiegen und die Wasserpegel von Stauseen sinken lässt.
Auswege aus diesem Dilemma erforscht Dr. José Alfonso Gómez, Wissenschaftler am Institut für nachhaltige Landwirtschaft in Córdoba. In einer TV-Dokumentation erläutert er mögliche Alternativen. So sei es wichtig, der Erosion des Bodens entgegenzuwirken, indem man unter den Olivenbäumen Pflanzen wachsen lässt und vielleicht Tiere hält, wie das früher bei Olivenbauern üblich war. Zum Glück stellen immer mehr Olivenbauern auf ökologische Landwirtschaft um und produzieren so umweltfreundliches Bio-Öl.
Wenn es dunkel wird über dem Olivenland, ist es Zeit fürs Abendessen. Klar, was auf den Tisch kommt: als Vorspeise ein Teller Olivenöl mit Brot, ein Salat, angemacht mit Olivenöl, vielleicht ein in Olivenöl gebratenes Kaninchen oder ein über Olivenholz gegrilltes Hühnchen – und selbst die Nachspeise kommt oft nicht ohne Olivenöl aus. Periko Ortega etwa, der in seinem Restaurant in Córdoba ambitionierte andalusische Küche serviert und ein wahrer Olivenölfanatiker ist, reicht zum Beispiel gerne mal einen Mandelkuchen mit Orangeneis und einem Schuss Olivenöl zum Dessert.
Außerdem wissenswert
Auf der Andalusien-Reise „Siesta vom Alltag“ von Studiosus smart & small besuchen Ihre Kunden auf dem Weg von Córdoba nach Granada eine Ölmühle und erfahren von einem Experten, wie aus Oliven das aromatische Öl gepresst wird.
Aus Oliven gewinnt man in Andalusien nicht nur Olivenöl. Oliven stehen in allen Variationen auf dem Speiseplan, das flüssige Gold wird aber auch zur Herstellung von Kosmetika wie Seife oder Lotionen verwendet. Und aus dem Holz der Olivenbäume werden Schüsseln oder Schränke hergestellt – was übrig bleibt, wird als Brennholz verwendet.
Wer möchte, kann kleine Bio-Bauern in Andalusien unterstützen, indem er einen Olivenbaum adoptiert. Möglich ist das zum Beispiel über die Website www.crowdfarming.com. „Ich bin Olivenbaum-Patin und freue mich jedes Jahr aufs Neue, wenn ich Olivenöl und Olivenkonfitüre ‚von meinem‘ Olivenbaum geschickt bekomme“, meint Tanja Rinne-Knedel.
Die Preise von hochwertigem, sortenreinem Olivenöl können sich mit denen von guten Weinen messen. Unter 15 € für den Liter, so Olivenöl-Experte Arkadius Michalczyk im Podcast „Geschmackssache“ von TRY FOODS, gibt es keine vernünftigen Olivenöle zu kaufen. Und der Preis für Top-Öle liegt schnell bei 30 bis 35 €.
Nur die erste kalte „Pressung“ eines Olivenöls, das einen Säuregrad von 0,8 % nicht überschreitet, darf die Qualitätsbezeichnung „Virgen Extra“ (Natives Olivenöl extra) tragen. Bei wirklich hochqualitativen Olivenölen sollte der Säuregrad aber deutlich unter 0,8 % liegen. Bei „nur“ nativem Olivenöl darf der Säuregrad bis zu 2 % betragen, und leichte geschmackliche Fehler sind erlaubt. Mehr Infos zu den unterschiedlichen Qualitätsstufen von Olivenöl findet man hier.