Haute Couture aus der Wüste
Eine staubige Straße in der nigrischen Hauptstadt Niamey. Frauen balancieren Brennholz auf dem Kopf, vorbei an parkenden Autos. Ein streunender Hund flüchtet sich in den Schatten, 40 Grad sind es dort dennoch. „Alphadi“ steht auf einem unscheinbaren Schild über einem Laden in dieser Straße. Darunter sind neben Telefon- und Faxnummer weitere Filialen aufgelistet: das malische Bamako, die Hauptstadt der Elfenbeinküste Abidjan und – Paris.
Kaum zu glauben, dass der Designer Alphadi, der unter diesem Künstlernamen seine Kollektionen Seite an Seite mit Yves Saint Laurent oder Paco Rabanne über die Laufstege dieser Welt schickt, von hier aus sein Modeimperium lenkt. Für „normale“ afrikanische Frauen ist das Label unerschwinglich. Der 66-Jährige kleidet afrikanische Präsidentengattinnen ein, aber auch vermögende Europäerinnen und Amerikanerinnen wie die Schauspielerin Isabelle Adjani oder die Politikerin Hillary Clinton.
1000 Kilometer nordwestlich, in der malischen Oasenstadt Timbuktu am Rand der Sahara, wurde Alphadi als Seidnaly Sidhamed geboren. Hier verbrachte der Sohn eines Prinzen einen Teil seiner Kindheit. „Mein Vater war der erste im ganzen Land, der elektrisches Licht hatte“, erzählt Alphadi in dem Dokumentarfilm „Alphadi und die Farben der Wüste“ von Roberto Lugones. Als Händler versorgte der Vater die französische Armee mit allem, was sie brauchte – und brachte es so zu Ansehen und Wohlstand. Dieser Wohlstand spiegelte sich im Auftreten der Familie wider: „Zu Hochzeiten trugen meine Eltern zwei Kilo Gold auf dem Kopf, unglaubliche Schmuckstücke und wundervolle Gewänder.“
Alphadis Sinn für Ästhetik wurde nicht nur zu Hause, sondern auch durch indische Filme geprägt, die im einzigen Kino von Timbuktu liefen. Die Handlung war zweitrangig. Was ihn begeisterte, waren die glamourösen Kleider und die glitzernden Juwelen. Als Teenager sei er verrückt nach Schönheit gewesen. In dieser Zeit begann er, seiner Mutter beim Schminken zu helfen oder Puppenkleider für seine Schwestern zu nähen. Zu Hause war das kein Problem. Aber dass der Sohn Modedesigner werden wollte, lehnten die Mutter und der sonst so moderne Vater kategorisch ab.
Alphadi respektiert zunächst die Wünsche seiner Eltern und absolviert ein Tourismusstudium in Paris. Tagsüber besucht er die Schule, abends Fashionshows angesagter Couturiers – und schließlich die Modeschule „Atelier Chardon-Savard“. 1980 geht er nach Niamey und arbeitet für den Tourismusdirektor des Handelsministeriums. Nur ein Intermezzo, denn die Mode lässt ihn nicht los. Er bringt seine Ideen zu Papier, knüpft Kontakte zu Webern und Silberschmieden in Niger und pflegt die während seines Studiums gewonnenen Kontakte mit renommierten Designern in Paris. Sieben Jahre später präsentiert er seine Entwürfe bei einem Open-Air-Defilée auf dem Trocadero zu Füßen des Eiffelturms. Modejournalisten, Kritiker, Prominente und Kollegen – sie alle feiern ihn als einen der bedeutendsten Modeschöpfer außerhalb Europas.
Auch in der Heimat sind viele Menschen stolz auf seinen Erfolg, sehen in Alphadi einen Botschafter für den ganzen Kontinent. Zwar könnten die Länder und Völker Afrikas nicht unterschiedlicher sein, doch für ihn gibt es keine Grenzen. In der Mode sieht er die Möglichkeit, Länder wie zum Beispiel Niger, Senegal oder Mauretanien miteinander zu verbinden. „Was aber noch viel wichtiger ist“, meint einer seiner Mitarbeiter, „Alphadi gibt uns Selbstbewusstsein. Er erinnert uns daran, dass Afrika nicht nur für Aids, Kriege und Korruption steht.“ Allerdings hat der Modemacher auch Feinde. Haute Couture, tiefe Dekolletés und figurbetonte Korsagen stehen im krassen Widerspruch zum Islam. Zumindest zu dem Glauben radikaler Muslime, die Alphadis Boutique bereits einmal in Brand steckten und ein anderes Mal die Werkstatt verwüsteten. „Nackte Körper und offen getragene Haare – wer gläubig ist, verdammt das“, schimpft einer seiner Kritiker. „Mit seiner Arbeit beschmutzt er den Niger.“ Alphadi reagiert, zumindest äußerlich, gelassen. „Die Religion war immer tolerant. Die Aggression kommt von denjenigen, die nichts verstanden haben, die intolerant sind und sich für bessere Muslime halten.“
Alphadi setzt seinen Weg unbeirrt fort. Mit einer Modenschau im heißen Sand der Tenéré erfüllt er sich 1998 seinen Jugendtraum. Er lockt Besucher und Top-Designer aus aller Welt in die Wüste, um ihnen afrikanische Mode zu präsentieren. Nicht nur seine eigene, sondern auch die vielversprechender afrikanischer Nachwuchstalente.
Skeptiker halten ihn für verrückt: Die Wasserversorgung für die Gäste in einem von Dürre geplagten Land wie Niger ist ebenso ein Problem wie das gegrillte Kamel am Spieß, für das die Köche einen Kran brauchen, um es zu servieren. Models und Gäste kämpfen mit der extremen Hitze, draußen tobt ein Tuareg-Aufstand und religiöse Fanatiker wollen die Veranstaltung verhindern. Trotz aller Widrigkeiten wird der Event ein voller Erfolg.
Dieses „Festival international de la mode africaine“, kurz FIMA, findet alle zwei Jahre statt, immer in einem anderen afrikanischen Land. Es dient nicht nur Alphadi als Bühne, sondern auch Nachwuchsmodemachern aus ganz Afrika. Das FIMA sei „sein ganzer Stolz“, sagt Alphadi. In diesem Rahmen könne er Afrika perfekt inszenieren, die Aufmerksamkeit der Welt auf seine Heimat lenken, für junge Designer ein Sprungbrett bieten, kulturelle Einflüsse mixen und ein Zeichen für den Frieden setzen.
In einem Interview mit dem UNESCO Courier bezeichnet sich Alphadi als „größten Panafrikaner von allen Panafrikanern“ und vertritt ein Völkerverständnis unabhängig von Ethnie oder Nationalität. „Ich bin in Timbuktu geboren. Meine Mutter war Marokkanerin, mein Vater Nigrer arabischer Abstammung. Ich bin in Niger aufgewachsen, habe in Togo und Paris studiert. Ich habe Familie in Marokko, Mauretanien und der Elfenbeinküste. Auf dieses bunte Erbe bin ich stolz und nehme es als Verpflichtung, mich für Afrikas Einheit und Würde einzusetzen.“
Genau dieser kulturelle Mix macht Alphadis Kreationen aus. Er reist quer durch Afrika, stets auf der Suche nach Inspiration. Von den Tuareg übernimmt er uralte Symbole als Muster auf seinen Stoffen; mit Hilfe zentralafrikanischer Webkunst verarbeitet er Fasern des Affenbrotbaumes oder der Raffiapalme zu Korsagen oder Röcken. Baumrinde aus Uganda lässt er glattklopfen und dann mit Akazienharz bestreichen – ein kostbares Material, das früher nur die Königin von Uganda getragen hat.
Neue Ideen holt sich der Modeschöpfer an den unterschiedlichsten Orten. Bei einem Besuch der Bororo im Norden Nigers sitzt er am Lagerfeuer und bestaunt die prächtige Kleidung des Nomadenvolkes, verziert mit fossilen Kaurimuscheln und Straußenfedern. Oder er hält in den Gassen der Städte Ausschau nach alten Techniken der Textilproduktion. In Niamey trifft er Monsieur Mamodou vom westafrikanischen Stamm der Peul, der das höchst komplizierte Weben mit dem Fußpedal beherrscht. Der Mann ist alt und möchte eigentlich schon lange in Rente gehen. „Aber wenn ich aufhöre, stirbt diese Kunst aus. Unsere Jugend hat andere Interessen.“
Dabei sind es genau diese alten Traditionen, die Afrika eine bessere Zukunft bescheren können. „Wir müssen der Welt zeigen, über welch hervorragende Kunstfertigkeiten wir verfügen“, meint Alphadi. „In Afrika findet man überall Schönheit und Geschmack. Sie müssen sich nur entfalten können. Dann werden sie auch den Augen der Welt gefallen.“