Guten Morgen, Sizilien!

In 22 Stunden von München nach Catania: Autorin Christiane Würtenberger hat ausprobiert, wie es ist, mit dem Zug zur Studienreise zu fahren – kleine Abenteuer inklusive.

Guten Morgen, Sizilien!
Die Sonne begrüßt uns am Bahnhof Catania Centrale auf Sizilien.

6.30 Uhr. Der Wecker meines Handys reißt mich aus dem Schlaf. Ich zupfe an der Jalousie, um nach draußen zu schauen. Die Morgendämmerung hat eingesetzt, ich reibe mir die Augen: Da draußen ist wirklich das Meer! Mit Sandstrand und Sonnenschirmen, mit sizilianischen Dächern und Kirchtürmen und jetzt sogar mit einer Felsenbucht – als Schattenriss vor einem pastellfarbenen Horizont. Bald wird die Sonne aufgehen. Also schnell noch das Waschbecken im Abteil für eine Katzenwäsche aufklappen. Als der Zugbegleiter um 7 Uhr Kaffee und Frühstück bringt, sitze ich schon angezogen am Tisch. Während ich weiter rausschaue, nippe ich an meinem Espresso. Glückshormone fluten meinen Körper. Was für ein Naturspektakel! Und was für eine gute Entscheidung, mit dem Zug zur Studienreise nach Sizilien zu fahren …

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Start in München

Begonnen hat dieses kleine Abenteuer gut 20 Stunden früher, am Münchner Hauptbahnhof. Seit Kurzem bietet Studiosus die Zuganreise auch für weiter entfernte Ziele in Europa an, wie zum Beispiel Süditalien. Dass das mehr Zeit kostet, stört mich nicht. Der höhere Preis tut schon eher weh, aber dafür kann Studiosus ja nichts. Warum ich das mache? Offen gestanden fliege ich nicht gerne. Und mein nachhaltiges Gewissen meldet sich bei Flugreisen mittlerweile auch. Wenn ich Zug fahre, spare ich etwa 80 Prozent der CO2-Emissionen ein. Außerdem finde ich es reizvoll, mal wieder so wie früher unterwegs zu sein, einfacher und erlebnisreicher. Ich erinnere mich noch an das Rattern des D-Zugs während einer nächtlichen Fahrt von Stuttgart nach West-Berlin, irgendwann kurz vor der Wende. Wie die Gardinen im Durchzug flatterten … und wie glücklich man morgens ankam.

Die Autorin Christiane Würtenberger am Bahnsteig des Münchner Hauptbahnhofs.
Autorin Christiane Würtenberger am Münchner Hauptbahnhof.

Die Nostalgie reist mit

Im Gepäck habe ich daher auch romantische Vorstellungen: Ich stelle mir vor, wie die Alpen am Fenster vorbeiziehen, während ich im Bordrestaurant sitze. Dass man als Zugreisende viel Zeit zum Lesen hat. Dass man das italienische Flair auf den Bahnhöfen von Bologna und Rom so richtig genießen kann, wo etwa eine Stunde Aufenthalt eingeplant ist. Und wie gemütlich es im Nachtzug von Rom nach Catania sein wird. Das Rattern der Räder werde ich in meine Träume einbauen.

Man könnte es vielleicht auch so sagen: Ich wünsche mir Entspannung und Abwechslung, während ich endlich mal wieder ermesse, wie groß Europa ist. Anstatt in ein Flugzeug zu steigen, das Menschen mit maximaler Effektivität und bis zu 900 Kilometern pro Stunde an einen anderen Ort des Kontinents katapultiert, durchfährt man Länder und Landschaften und nähert sich dem Süden in einem gemächlichen Tempo. So kommt die Seele dieses Mal vielleicht auch leichter mit, und ich brauche am Ziel weniger Zeit, um mich zu akklimatisieren.

Es geht los

9.30 Uhr: In München mache ich es mir auf meinem Fensterplatz im Abteil der 1. Klasse bequem, hole den Reiseführer aus dem Rucksack. Lesezeit! Das funktioniert allerdings nur kurz, weil mich das malerische Voralpenland schon bald abzulenken beginnt – von den Alpen mal ganz zu schweigen. Außerdem öffnet sich in Innsbruck die Abteiltür und John aus Kanada kommt hereinspaziert. Also tauschen wir uns bald über das Leben diesseits und jenseits des Atlantiks aus. Und staunen zwischendurch gemeinsam über die parallel verlaufende Brennerautobahn mit ihren beeindruckenden Brücken.

Wo ist der Speisewagen?

12.30 Uhr. Ich bitte John, mein Gepäck im Auge zu behalten, und mache mich auf den Weg zum Speisewagen. Leider treffe ich aber nur auf einen Zugbegleiter mit Service-Wägelchen. Der Mann versucht, mich zu trösten: Ab 2025 soll es auf dieser Strecke ein Bordrestaurant geben. Ich bin also einfach nur zu früh dran. Das ist schade, aber am Ende kein großes Drama. Es gibt ja Sandwiches und Snacks. Später bleibt noch Zeit für eine kleine Siesta und eine Runde Musikhören. Das liebe ich im Urlaub. Weil man so für alle Zeit bestimmte Titel oder Stücke mit Urlaubs-Erinnerungen verknüpft …

Als der Zug kurz nach 16 Uhr in Bologna hält, verabschiede ich mich von John und versuche, inmitten von italienischem Stimmengewirr und verwirrenden Unterführungen meinen nächsten Zug zu finden. Wo bitte fährt heute der Frecciarossa nach Rom ab? Kurzfristiger Gleiswechsel, nur auf Italienisch angekündigt. Na toll. Etwas gehetzt steige ich in den „Roten Pfeil“ nach Rom und freue ich mich auf die Toskana.

Ab durch die Tunnel

17.10 Uhr. Haha, was soll ich sagen? Ich habe meine Rechnung wohl ohne das italienische Schnellzug-Netz gemacht. Der Zug rast mit 250 Stundenkilometern ohne Zwischenhalte durch Tunnel und taucht nur ab und zu für ein paar Sekunden oder Minuten auf. Immer dann sehe ich – unscharf – eine von Zypressen gesäumte, liebliche Landschaft, bis es wieder rabenschwarze Nacht wird. Wow! Jetzt ist also der richtige Zeitpunkt, im Sizilien-Reiseführer zu lesen. Hier verpasse ich gerade alles – und doch nichts. In Rom spuckt mich der Schnellzug dafür pünktlich um kurz nach 19 Uhr wieder aus. Ich muss lachen. Das war was. Wie eine Flugreise, nur unterirdisch. Ich habe schon jetzt eine Menge zu erzählen.

Stop-over in Rom!?

Der Bahnhof Roma Termini ist im Gegensatz zu dem von Bologna hochmodern – mit schicker Shoppingmeile. Da ich aber eigentlich alles dabei habe, hole ich mir nur ein paar Antipasti-Focaccia und gehe nach draußen, wenigstens kurz römische Luft schnuppern. Ich kenne die Stadt nicht. Schade, denke ich, dass ich kein Stop-over in der italienischen Metropole eingeplant habe. Würde ich bei einem nächsten Mal anders machen.

Als der Nachtzug Rom – Syrakus einrollt, bin ich wieder am Gleis. Und hocke wenig später auf meiner frisch bezogenen Pritsche. Das Privatabteil ist mini, hat aber Tisch, Sessel, Bett, Spiegel, Waschbecken. Der Zugbegleiter spricht nicht mehr als zehn Wörter Englisch, also warte ich einfach mal ab. Zunächst bekomme ich eine Flasche Wasser. Dann überreicht der Mann ein Notfall-Set mit Zahnbürste, Wattestäbchen, Pads, Seife, Schlappen, Modell: deluxe donna. Interessant. Was bekommen die Männer? Zu guter Letzt flattert noch ein Frühstückszettel herein, auf dem man ankreuzen darf, was man am Morgen essen und wann man geweckt werden möchte.

20.30 Uhr. Schön, mal wieder für mich zu sein – ich verriegele die Tür zum Abteil und hole das Mini-Fläschchen Rotwein aus dem Koffer. Dieses Mal bin ich vorbereitet, italienische Nachtzüge haben keinen Speisewagen. Ich lausche dem Rattern und Quietschen der Räder auf den Gleisen und werde jetzt wirklich ein bisschen nostalgisch: Die Gedanken reisen weit zurück. Mit Klaviermusik von Eric Satie aus dem Kassettenrekorder bin ich damals mit einem Nachtzug durch die stille Tschechoslowakei gen Prag gegondelt. Die höre ich jetzt wieder und schlafe irgendwann ein …

Ein Zug geht schwimmen

4.15 Uhr. Wir sind zum Stehen gekommen, mehrmals geht ein Rumpeln durch den Zug – die Waggons werden auseinander gekoppelt und auf die Fähre geschoben. Wegen diesem Abschnitt der Reise zwischen Villa San Giovanni und Messina gilt die Zugfahrt nach Sizilien als eine der spektakulärsten in Europa. Es geht hin und her und hin und her, bis alle Waggons auf dem Schiff sind, dann legt die Fähre ab. Verrückt! So also fühlt sich Seegang im Zug an … Blöderweise sind die Toiletten während der Überfahrt abgeschlossen. Trotzdem schlafe ich bald wieder ein, das Schaukeln ist gemütlich.

Sonnenaufgang überm Meer

6.30 Uhr. Der Wecker klingelt und reißt mich aus dem Tiefschlaf. Ich zupfe vorsichtig an der Jalousie, –

– bin am Anfang dieses Textes angekommen. Und das Ende der Zugfahrt naht auch. Gerade geht die Sonne auf. Leuchtet als gelber Ball überm Meer. Ruckzuck ist es Tag. Ruckzuck wird es heiß. Spätsommer auf Sizilien, wie ich mich darauf seit Wochen freue! Links rauscht weiterhin die Ostküste Siziliens vorbei. Im Westen sehe ich den Ätna. Mehrmals hält der „Intercity notte“ noch und lässt Reisende aussteigen. Ob es weitere Studiosus-Gäste gibt, die mit dem Zug kommen? Ich werde es heute Abend erfahren, wenn wir den Reiseleiter treffen.

7.30 Uhr: Der Zugbegleiter streckt den Kopf zur Tür herein:

 „Signora, Catania!“

„Grazie, signore.“

Ich bin bereit.

Nicht ganz ausgeschlafen, und eine Dusche wäre schön.

Dafür ist die Seele dieses Mal auch schon gleich mit angekommen.
Und das fühlt sich richtig gut an.

Hier geht es zu den Studiosus-Reisen nach Sizilien.