Geishas: Meisterinnen der Etikette
Yukina schwärmt für die japanische Boygroup Arashi und liebt es, Mangas zu lesen. Sie ist ein ganz normaler Teenager. „Bis zu jenem Abend, als sie einen Film über Geishas im Fernsehen gesehen hat“, sagt ihre Mutter. „Das hat unser Leben auf den Kopf gestellt.“ Auch wenn Geishas zu Japans Kultur gehören wie Kirschblüten und Kimonos, so sind sie selbst für viele Japaner fremd und rätselhaft. „Unsere Familie hatte bis dato weder eine Geisha getroffen noch hatten wir uns näher für diese Tradition interessiert.“
Von der Schönheit der Geishas ist Yukina so fasziniert, dass sie beschließt, die Schule abzubrechen und auch „eine Person der Künste“ zu werden – so die Übersetzung. Was die Eltern für ein Hirngespinst halten, ist für die 14-Jährige bitterer Ernst. Sie bewirbt sich bei einem Geisha-Haus in Kyoto und ergattert tatsächlich einen Ausbildungsplatz. Während die Mutter Verständnis für den Traum ihrer Tochter aufbringt – aber insgeheim hofft, dass sie die harte Lehrzeit nicht durchsteht und zur Familie zurückkehrt –, ist der Vater schlicht entsetzt. Nach seinem Verständnis sind Geishas nichts anderes als Edelprostituierte.
Diese Fehleinschätzung ist historisch bedingt und hält sich hartnäckig – nicht nur im Ausland, sondern eben auch in Japan. Was kaum einer weiß: Anfangs handelte es sich bei den Geishas ausschließlich um Männer, die ihr Geld in den Rotlichtbezirken der japanischen Städte verdienten. Sie wurden von Kurtisanen engagiert, um deren Freier in den Teehäusern während der Wartezeiten mit Musik und Tanz bei Laune zu halten.
Mitte des 18. Jahrhunderts lösten „onna geisha“, weibliche Geishas, die männlichen Kollegen ab. Doch nicht jede Geisha akzeptierte die Aufgabenteilung mit den Kurtisanen, und entsprechend schlecht war ihr Image. Der Protest der Kurtisanen gegen die Konkurrenz gipfelte 1779 in einem Gesetz, das es Geishas verbot, bezahlten Sex anzubieten. Dieses Gesetz entpuppte sich als Glücksfall für die Geishas, die von nun an nur in den besten Kreisen verkehrten, als niveauvolle Unterhaltungskünstlerinnen hochgeschätzt waren und für ihre Arbeit glänzend honoriert wurden. Genau dafür gibt Yukina ihr bisheriges Leben auf, will sich darauf konzentrieren, das japanische Schönheitsideal zu verkörpern. So wie Fukuhiro, die „so fasziniert von den schillernden Kimonos“ war, dass sie sich für diesen Beruf entschieden hat. Ist das nicht ein wenig oberflächlich? Die 25-Jährige schüttelt vehement den Kopf. „Keineswegs! Wie wir uns kleiden, ist eine hohe Kunst“, sagt sie. „Nichts überlassen wir dem Zufall. Es gibt keinen Raum für Improvisation.“ Wenn sie abends in den Gassen von Kyoto unterwegs sei, fühle sie sich wie ein lebendes Kunstwerk.
Traditionell schminken sich Geishas kreideweiß und tragen kostbare Seidenkimonos. Stückpreis: 4000 Euro aufwärts. Hinter den Schiebetüren ihres Kleiderschrankes lagert Fukuhiro 38 Kimonos, schließlich erfordern die Jahreszeiten, Anlässe und Kunden unterschiedliche Outfits. Eine gesamte Ausstattung, inklusive Obi-Gurt, Perücke mit Haarschmuck, Fächer und Holzsandalen, repräsentiert den Wert eines Mittelklasseautos. An die 20 Kilogramm kann die Montur wiegen. Das ist auch der Grund, warum Geishas oft männliche Ankleider haben. Das Anziehen – und Tragen – sind körperliche Schwerstarbeit. Bis sich Yukina wie Fukuhiro schminken und kleiden darf, ist es noch ein harter Weg. Zunächst muss sie die Aufnahmeprüfung zur Maiko, so ist die Bezeichnung für eine Geisha in Ausbildung, bestehen. Das bedeutet: Sie lebt im Geisha-Haus, weitgehend abgeschottet von der Außenwelt. Monate lang hat sie keinen Kontakt zu ihrer leiblichen Familie, dafür bekommt sie eine neue Mutter, die Okasan. Sie ist Mutterersatz und Managerin in einer Person.
Und weil sie die teure Ausbildung vorfinanziert, überwacht sie jeden Schritt und jeden Fortschritt. „Ich bezahle den Musik- und Tanzlehrer, den Konversationstrainer, den Friseur, die Kimonos und, und, und“, sagt sie. „Da kommen pro Maiko 2500 Euro monatlich zusammen.“ Doch wenn die Mädchen gut ausgebildet sind und von den Kunden gerne gebucht werden, ist es eine lukrative Investition. Denn bis auf ein kleines Taschengeld sehen die Maikos nichts von ihrem Lohn. Sind sie erstmal Geishas, verdienen sie ihr eigenes Geld. Ihre Ausbildungskosten müssen sie dann allerdings an ihre Okasan zurückzahlen. Yukina leidet unter Heimweh, doch sie darf ihre Mutter nicht einmal anrufen. „Sie muss beweisen, dass sie das neue Leben auch wirklich will. Dass sie sich an Regeln halten kann“, sagt die Okasan. „Und die Regel lautet nun mal: Bis zur Aufnahmeprüfung kein Kontakt zur Familie.“ Dieses neue Leben sieht auch vor, dass die jungen Frauen ihren Namen ändern. Yukina besucht in Begleitung ihrer Okasan einen Mönch, der für sie einen passenden Namen finden soll. Nach ein paar Gebeten und Schlägen auf einen Gong kritzelt er Schriftzeichen auf ein Papier. Seine Eingebung lautet „Kikuyu“ – freundliche Chrysantheme. „Kikuyu wird dir finanziell Glück bringen“, meint der Mönch.
In ihrem neuen Zuhause steht Kikuyu ganz unten in der Hierarchie. Als Anfängerin muss sie im Haushalt anpacken und ihre älteren „Schwestern“ bedienen. Darüber hinaus bekommt sie Unterricht: Traditioneller Tanz und Gesang stehen ebenso auf dem Stundenplan wie Kalligrafie, Konversation, das Erlernen der Teezeremonie und eines Instruments. Das ist meist die Shamisen, ein der Laute ähnliches Saiteninstrument. In den nächsten Monaten korrigieren ihre Lehrer jeden Schritt, jede Hand und Kopfbewegung, jeden Blick und jedes Wort.
Kikuyu meistert alle Hürden und schafft die Aufnahmeprüfung. Als frischgebackene Maiko tritt sie hinaus auf die Straße und präsentiert sich den wartenden Journalisten und dem Blitzlicht der Fotografen. Bis heute gilt es in Kyoto als gesellschaftliches Ereignis, wenn es eine neue Maiko gibt. Von nun an begleitet Kikuyu ihre älteren „Schwestern“ abends in Teehäuser oder exklusive Clubs. Jede zweite Maiko gibt noch während der Lehre auf, Kikuyu nicht. Die Prophezeiung des Mönchs scheint sich zu erfüllen: Inzwischen ist sie Geisha und Monate lang ausgebucht. Ihrer Okasan hat sie in nur zwei Jahren die Ausbildungskosten zurückgezahlt und ist in eine eigene Wohnung in Kyoto gezogen. Während sie vormittags schläft und ab Mittag ihre Termine plant und ihre Fähigkeiten trainiert, verwandelt sie sich abends in eine Geisha.
Manchmal ist sie bis zum Morgengrauen im Einsatz. Sie serviert Tee, wobei sie die traditionelle Zeremonie bis ins letzte Detail beherrscht; auch wie sie das mehrgängige Dinner präsentiert, folgt einem komplizierten Regelwerk aus Tradition und Ästhetik. Dann tanzt sie zum Gesang und dem Shamisenspiel einer Kollegin – oder spielt selbst ein Instrument. Was für asiatische Ohren höchster Genuss ist, klingt für den westlichen Geschmack schräg und wenig harmonisch. Manche Kunden wollen nicht nur zuschauen, sondern auch tanzen. Ungelenk ahmen sie die Bewegungen der Geisha nach – auch das wirkt auf jeden befremdlich, der mit der japanischen Kultur nicht vertraut ist.
Eine Geisha sollte außerdem eine intellektuelle Konversation betreiben können. „Meine Kunden sprechen gerne über Kunst mit mir“, erzählt Kikuyu. „Oder wir philosophieren und diskutieren über ethische Fragen.“ Manchmal wünschen sich die Kunden aber auch banale Partyspielchen oder einfach nur reichlich Sake. „Dann ist es meine Aufgabe, den Abend von der ersten bis zur letzten Sekunde zu kontrollieren.“ Die Neue Zürcher Zeitung beschreibt das ganz treffend: „Sie ist die Chefin im Ring, auch wenn der Gast der König ist.“ Aber wer sind die Kunden, die an einem Abend 1000 Euro und mehr für die Gesellschaft einer Geisha ausgeben? Fast immer sind es Männer, manchmal in Begleitung ihrer Ehefrauen; hochrangige Politiker, reiche Industrielle, Schauspieler, Prominente. Sie alle müssen allerdings Stammkunden sein oder eine Empfehlung vorweisen können, sonst bleibt ihnen der Zutritt zum Teehaus verwehrt.
Shuitsu hatte vor Jahren einen Geschäftspartner nach Gion begleitet. Seitdem reist er mehrmals im Jahr nach Kyoto, nur um einen Abend mit einer Geisha zu verbringen. „Geishas sind das Beste, was Japan an Unterhaltung zu bieten hat“, schwärmt der 48-jährige Manager. „Wenn ich hier bin, habe ich alles andere als Sex im Kopf. Ich suche nach emotionalen, nach geistigen Reizen.“
Für Kikuyu ist es ihr Traumberuf, den mittlerweile sogar ihr Vater akzeptiert. „Wenn ich ihm am Telefon erzähle, wen ich schon getroffen habe“, sagt sie lächelnd, „dann ist er inzwischen sogar ein bisschen stolz auf mich.“