Hände hoch: Cactus Cops auf der Jagd nach Entführern

Er ist DER Kaktus, an den man denkt, wenn man die Augen schließt und an einen Kaktus denkt. Auch deshalb floriert der Schwarzmarkt mit den geschützten Saguaros. In Arizona versuchen Cactus Cops und Umweltschützer, den illegalen Handel mit den Kakteen zu unterbinden.

Hände hoch: Cactus Cops auf der Jagd nach Entführern

Rosslee und Roy Crockett kennt heute kaum noch jemand in Arizona, dabei waren sie in den 1980er-Jahren landesweite Berühmtheiten. Jedes Jahr fuhr das Ehepaar aus Oregon in den amerikanischen Südwesten in Urlaub, jedes Jahr hielten sie in der Nähe des kleinen Ortes Quartzside an der Interstate 10, jedes Jahr fotografierten sie sich vor dem riesigen Kaktus, der dort stand: Stativ, Selbstauslöser, in der Kamera ein Diafilm, wie Urlaubserinnerungen damals eben festgehalten wurden. Old Granddad war aber auch ein Prachtexemplar von einem Saguaro! Zweihundert Jahre alt, turmhoch, mit einer seltenen Verformung an der Spitze, die wie ein Fächer aussieht und nur einmal unter hunderttausend Exemplaren vorkommt. Und dann, nach neun Jahren Selfie-Stopps, war der Kaktus plötzlich weg. Einfach so. Die Crocketts verstanden die Welt nicht mehr. Sie wandten sich an den Sheriff. Und lösten durch beharrliches Drängen schließlich die erste Suchaktion aus, die es in diesem Teil der USA je für eine Pflanze gegeben hat. Man fand Old Granddad dann in einer Gärtnerei in Las Vegas, mit einem 15.000-Dollar-Preisschild. ‌

Der Saguaro-Nationalpark in Arizona wurde 1994 gegründet, seit 1933 war das Gebiet bereits National Monument.

‌Und es stellte sich heraus, dass er nicht allein war: Der Laden hatte noch weitere alte Kakteen im Angebot, deren Herkunft seine Inhaber nicht schlüssig erklären konnten. Auch in anderen Gärtnereien wurden Kakteen sichergestellt. Nach und nach stellte sich heraus, was bisher niemandem aufgefallen war: Mit Arizonas Saguaros blühte ein schwunghafter und lukrativer Schwarzhandel.

Ein Peilsender für den Kaktus

„Und seitdem ist es immer schlimmer geworden.“ Ray O'Neill sitzt an seinem Schreibtisch in Tucsons Saguaro National Park und spielt mit einer Pistole. Die allerdings gelb ist. Und aus Plastik. Sie verschießt auch keine Kugeln, sondern injiziert winzig kleine Transponder in das Fruchtfleisch von Kakteen. Mit solchen Peilsendern überwachen der Chef-Ranger und sein Team die ältesten und wertvollsten Sukkulenten im Nationalpark.‌

Ranger im Saguaro-Nationalpark.

‌Die implantierten Sender reagieren auf bestimmte Lesegeräte. Nähert man sich damit dem gechippten Kaktus, ertönt ein schriller Pfeifton, und auf dem Display erscheint ein fünfzehnstelliger Code, mit dem die Pflanze eindeutig identifiziert werden kann. „So können wir zweifelsfrei sagen: Dieser Kaktus sollte eigentlich an dieser oder jener Stelle im Park stehen und nicht auf diesem Privatgrundstück 50 Meilen entfernt“, sagt O’Neill. „Ohne die Sender wäre das schwierig zu beweisen. Die sehen sich ja ziemlich ähnlich, die Saguaros.“

Die größte Kakteenart der USA wird bis zu zwanzig Meter hoch und bis zu sechs Tonnen schwer. Die ersten siebzig Jahre ihres langen Lebens wachsen Saguaros in Zeitlupe gen Himmel. Erst dann bildet sich der erste jener Arme, mit denen sie später aussehen wie Kassierer im Wilden Westen, auf die ein Bankräuber seinen Revolver gerichtet hat. Ein ausgewachsener Saguaro hat bis zu zwanzig dieser Arme. Jeder davon wiegt hundert Kilo und mehr.‌

Die Saguaros zählen zu den Kandelaberkakteen. Die wissenschaftliche Bezeichnung lautet Carnegiea gigantea und ehrt den US-amerikanischen Industriellen Andrew Carnegie.

‌Trotz dieser Dimensionen werden Saguaros gestohlen. Immer mehr, immer häufiger, immer dreister. In China oder den Emiraten, aber auch in Los Angeles oder Las Vegas gibt es genügend Hausbesitzer, die für besonders schöne Exemplare fünfstellige Dollarbeträge auf den Tisch legen; der WWF hält den illegalen Handel mit den Kakteen für ein Multi-Millionen-Dollar-Geschäft. Und für eines, das keine Grenzen kennt. Vor einigen Jahren wurde ein Mann verhaftet, der zwei illegale Saguaros aus Arizona nach Österreich geliefert hatte. Wegen solcher Geschäfte implantieren die Ranger die kleinen Sender in ihre Kakteen. Mittlerweile tragen etliche tausend Pflanzen im Park Transponder in ihrem Fleisch, mit deren Hilfe sie auch nach Jahren noch eindeutig identifiziert werden können.

Streng geschützt

Saguaros sind in Arizona keine seltenen Gewächse; im Südwesten des Bundesstaates wachsen die Kakteen zwischen den Städten Yuma und Nogales beinahe durchgehend gestaffelt entlang der Grenze zu Mexiko. Trotzdem darf niemand einem Saguaro auch nur einen Stachel krümmen, das regelt der Arizona Native Plant Act. Jede Pflanze, die einem neuen Vorort von Tucson oder Phoenix im Weg steht, muss fachmännisch entfernt und an anderer Stelle wieder eingepflanzt werden. Hausbesitzer benötigen eine Sondergenehmigung, bevor sie einem Kaktus auf ihrem Grundstück zu Leibe rücken dürfen. Bei Verstoß drohen Geldstrafen bis zu 100.000 Dollar.

Und die Kaktusdiebe? Denen ist Scott Schade auf der Spur, Cactus Cop und Special Investigator im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums. Schade fährt Streife und fahndet nach gestohlenen Sukkulenten. Mit Colt und Gewehr. „Die meisten Kaktusdiebe arbeiten im Auftrag. Das sind Drogenabhängige, die sind unberechenbar. Und fast immer auch bewaffnet.“ Und wie stiehlt man einen Saguaro? „Man braucht einen Lastwagen mit Seilwinde“, sagt Schade, „ein paar kräftige Männer, eine Leiter und alte Teppiche.“ Die werden um die Pflanze gewickelt und mit Draht fixiert. Um möglichst großflächig Wasser aufnehmen zu können, haben Saguaros ein flaches Wurzelsystem, deshalb kann man sie relativ einfach ausgraben. Ist das geschehen, kippt man den Kaktus auf die Ladefläche und zieht ihn anschließend mit der Winde hinauf, wo er dann vertäut wird. Da die schweren Arme dem großen Kaktus oft ein Übergewicht auf einer Seite geben, fallen ausgegrabene Exemplare gerne unvermittelt um. „Und wenn man einen abgebrochenen Arm auf den Kopf bekommt“, meint Schade, „muss man sich um den Abtransport seiner Beute keine Sorgen mehr machen.“‌

‌Im riesigen Gebiet an der Grenze zwischen Arizona und Mexiko ist Scott Schade bei seiner Arbeit auf ein Netzwerk von Helfern und Informanten angewiesen. Die Nationalparkranger gehören dazu, natürlich, aber auch Naturschützer, Hobbybotaniker, Mountainbiker, Jäger und andere, die in der Natur unterwegs sind. Die Kakteenfreunde alarmieren sich untereinander, wenn sie abgelegte Saguaros an einem Wanderwegparkplatz entdecken oder verdächtige Sonderangebote in einer Gärtnerei. Am Ende der Alarmkette klingelt dann Schades Telefon. Seine Arbeitgeber veröffentlichen keine Zahlen. Angeblich hat es in den vergangenen Jahren über zweihundert Festnahmen gegeben.

„Die Chance, dass ein ausgewachsener Saguaro ein Umsetzen überlebt, liegt bei zehn bis zwanzig Prozent.“ Das kommt jetzt von Steven Smith, einem Kakteenexperten an Tucsons University of Arizona. Smith beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie die Pflanzen auf veränderte Umweltbedingungen reagieren – was bei den Saguaros meistens einen neuen Standort in einem Neubaugebiet von Vegas oder Scottsdale meint und manchmal auch einen Vorgarten irgendwo in Österreich. Dass ein Großteil der gestohlenen Kakteen nicht wieder anwachse, sei das Schlimmste am illegalen Handel, sagt er. Fast immer zerstörten die Diebe beim Ausgraben das Wurzelwerk. „Wenn der Saguaro dann beim Kunden ankommt, ist er eigentlich schon so gut wie tot.“

Auch Old Granddad hat seine Entführung damals nicht überlebt. Nachdem man ihn aus der Gärtnerei in Las Vegas befreit hatte, wurde der zweihundertjährige Saguaro zurück nach Arizona gebracht. Er verstarb kurz nach seiner Rettung im Botanischen Garten in Phoenix.‌

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