Brücken schlagen, einander verstehen

„Wir sehen unsere Aufgabe darin, im Sinne der Völkerverständigung Brücken zu schlagen über innere und äußere Grenzen hinweg ...“, so steht es im Studiosus-Unternehmensleitbild. Seit wann spielt dieser Gedanke eine zentrale Rolle in der Unternehmensphilosophie?

Peter-Mario Kubsch: Schon seit mein Vater Werner Kubsch vor 70 Jahren, 1954, Studiosus gründete. Da lag das Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht einmal zehn Jahre zurück. Mein Vater war im letzten Kriegsjahr in Italien stationiert. Nach dem Krieg lernte er in Padua Italienisch und machte 1947 das Examen als Dolmetscher. Nach seiner Rückkehr studierte er in München Volkswirtschaft und arbeitete bei der Auslandskommission des Allgemeinen Studentenausschusses AStA mit. Bald kam die Idee auf, Reisen für Studenten nach Italien und Griechenland zu organisieren. Schon damals leitete ihn nicht nur die Idee, die Neugier seiner Kommilitonen auf fremde Länder zu befriedigen, sondern der Gedanke der Aussöhnung zwischen den Völkern.

Da musste das Gepäck auch schon mal auf dem Dach mitreisen: der erste Studiosus-Reisebus in Athen.

Der Wunsch nach Völkerverständigung ist das eine, wie wurde diese Idee in die Praxis umgesetzt?

Auf seinen ersten Reisen brachte mein Vater deutschen Studenten die humanistischen Ideale der Antike in Griechenland und Italien nahe. Ab 1968 holte er auch amerikanische Studenten nach Europa und organisierte für sie Reisen über den Kontinent. Er gründete 1972 das „Consortium for International Education“ in Los Angeles, das insbesondere Weiterbildungsreisen für Studenten und Lehrer nach Europa entwickelte. Und Studiosus bot seinen Gästen schon früh Reisen hinter den Eisernen Vorhang in die Tschechoslowakei und die Sowjetunion an.

Werner Kubsch wurde für seine Bemühungen um Völkerverständigung auch ausgezeichnet ...

Ja, das war 1980: Der damalige italienische Staatspräsident Sandro Pertini ernannte ihn zum Cavaliere della Repubblica – für sein Engagement beim Wiederaufbau der Region Friaul nach dem schweren Erdbeben 1976 und wegen der Förderung der deutsch-italienischen Freundschaft.

Und der Gedanke der Völkerverständigung zieht sich bis heute durch die Reisen von Studiosus?

Das ist bis heute ein zentrales Thema. Als ich nach dem Tod meines Vaters 1992 die Geschäftsführung übernahm, kamen zwar weitere Schwerpunkte wie umweltschonendes und sozial verträgliches Reisen hinzu, aber das Thema Völkerverständigung spielt weiterhin eine große Rolle. Reisen per se kann ja schon ein Beitrag zur Völkerverständigung sein. Reisen bereichert und erweitert den Horizont, auf Reisen sammeln wir neue Erfahrungen, gewinnen neue Eindrücke. Es entsteht eine Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen und deren Menschen. Reisen ist ein Beitrag zu mehr Toleranz.

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Wie gestaltet Studiosus seine Reisen, damit das besonders gut gelingt?

Wir setzen dabei zum einen auf unsere Reiseleiterinnen und Reiseleiter, die natürlich das Verständnis und die Liebe zum jeweiligen Reiseland fördern und vermitteln, zum anderen auf die direkte Begegnung mit den Menschen vor Ort. Daher haben wir auf jeder unserer Reisen Treffen mit interessanten Einheimischen vororganisiert, mit denen sich unsere Gäste austauschen und von denen sie aus erster Hand mehr über das Leben im Reiseland erfahren können. Das kann ein Wasserpuppenspieler in Vietnam oder eine Sámi-Familie in Finnland, ein Oldtimer-Mechaniker in Kuba oder eine Schäferin in Neuseeland sein.

Hatten Sie auch solche bereichernden Begegnungen auf Ihren Reisen?

Wie sehr eine solche Begegnung berühren kann, habe ich schon als Jugendlicher erfahren. Damals fuhr ich mit meinem Vater durch Griechenland und wir kamen an einem orthodoxen Kirchlein vorbei. Wie jede Kirche unterwegs, mussten wir sie auch besichtigen. Als wir die Tür öffneten, sahen wir, dass gerade die Abendmesse stattfand. Wir wollten uns schon wieder zurückziehen, da stand eine ältere Dame auf und kam zu uns. Sie nahm mich wortlos bei der Hand und führte uns zu zwei freien Plätzen neben ihr in der Bank. Anschließend gab sie uns zwei Kerzen und zündete sie an. Wir nahmen dann noch still an der Zeremonie teil, bis es draußen dunkel war. Daran muss ich heute noch denken, wenn ich an Griechenland denke, und an dieses Gefühl, als Fremder in der Fremde willkommen zu sein.

Vororganisierte Begegnungen mit Einheimischen gehören seit Jahrzehnten zu jeder Studiosus-Reise dazu: hier in Vietnam.

Studiosus fördert viele Projekte in aller Welt. Steht da ebenfalls der Gedanke der Völkerverständigung im Vordergrund?

Zunächst einmal wollen wir helfen und den Ländern, die wir bereisen, etwas zurückgeben. Wir fördern ökologische, soziale und kulturelle Projekte in aller Welt wie etwa den Bau von Solarkochern in Madagaskar, die Sanierung eines Museums in Marokko oder den Ausbau von Schulprojekten in Südafrika. Aber wir unterstützen auch Projekte, die direkt zur Völkerverständigung beitragen: In Bethlehem beispielsweise fördert die Studiosus Foundation e. V. seit 2005 das internationale Begegnungszentrum mit angeschlossenem College, das sich um Verständigung und Austausch zwischen Israelis und Palästinensern, Christen, Juden und Muslimen bemüht. Außerdem tragen Studiosus-Reisen in den bereisten Ländern auch zur Wirtschaftsentwicklung und zur Schaffung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen bei – ein nicht unwichtiger Punkt im Kontext der Völkerverständigung.

In Europa und auch in Deutschland hat sich in den letzten Jahren ein neuer Nationalismus breitgemacht. Von einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft ist die Rede. Macht sich das auch auf Studiosus-Reisen bemerkbar?

Mit Studiosus sind grundsätzlich Gäste unterwegs, die weltoffen sind und sich für fremde Länder interessieren. Aber wie in jedem anderen Lebensbereich, in dem sich Menschen begegnen, so kann es auch auf Reisen einmal zu Diskussionen oder Kontroversen mit Gästen kommen, die ihre politischen Einstellungen offensiv vertreten.

Was unternehmen Sie in diesen Fällen?

Wir bilden unsere Reiseleiterinnen und Reiseleiter entsprechend aus und helfen ihnen so, möglicherweise aufkommende politische Konflikte besser zu moderieren. Im Extremfall müssten wir aber einem Gast auch den Reisevertrag kündigen und ihn nach Hause bringen, wenn er den Reiseablauf nachhaltig stört.

Wie sehen Sie die Zukunft von Studiosus in puncto Völkerverständigung?

Einen Beitrag zu Frieden und Völkerverständigung zu leisten, ist heute wichtiger denn je. Das zeigen der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine und der menschenverachtende Überfall der Hamas auf Israel. Für uns bedeutet nachhaltiges Reisen nicht nur Klima- und Umweltschutz, sondern auch die Förderung von Menschenrechten und der Völkerverständigung. Mit Studiosus reisen heißt deshalb auch in Zukunft, Menschen begegnen und ihre Kultur erleben
und verstehen.

Peter-Mario Kubsch, Geschäftsführer von Studiosus Reisen