André Hellers „Glücksdepot“
In der Nähe von Marrakesch verwandelt der österreichische Universalkünstler ein Stück Einöde in den paradiesischen Garten „Anima“. Sein Liebesbeweis für Marokko.
Zwischen Palmen hindurch blinzelt der Hohe Atlas mit seinen schneebedeckten Gipfeln. Springbrunnen plätschern, Blätter von Bananenstauden flattern im Wind, Olivenbäume spenden Schatten. Rosenstöcke, Orangenbäume und Lavendel duften um die Wette. Völlig zu Recht trägt der Garten den Untertitel „Rückkehr des Paradieses“. Denn als André Heller 2010 das 8,5 Hektar große, brachliegende Grundstück kauft, ist hier nichts als Wüste. Selbst Gartenarchitekten können sich damals nicht vorstellen, dass das Projekt so schnell – im wahrsten Sinne des Wortes – Früchte tragen wird.
„Ich habe das Risiko ganz allein gestemmt, ohne Partner und ohne Investoren“, erinnert sich der gebürtige Wiener. „Es war mir ein tiefes Bedürfnis, mich für das viele Wertvolle und Unvergessliche, dass ich Marokko und im speziellen Marrakesch zu verdanken habe, mit etwas Wunderbarem zu revanchieren. Als ich dann mit vielen Mitarbeitern vor neun Jahren mit der Verwirklichung dieser Idee begann, gab es dort keinen einzigen Baum, keinen einzigen Strauch und keine einzige Blume. Heute ist Anima wohl ohne Übertreibung ein Ort intensiver Schönheit und Sinnlichkeit, der Künste, der Heilung, der Kühle an heißen Tagen.“
Für Anima dürfen drei Brunnen gegraben werden, die in Seitentunneln Sickerwasser speichern. Sie versorgen nicht nur den Garten, sondern auch 3500 Menschen in der unmittelbaren Umgebung. Doch auch wenn die Wasserversorgung gesichert ist, war der Anfang schwer. Die ersten, zur Probe gepflanzten Bäume warfen bereits nach ein paar Wochen ihre Blätter ab. Die lehmhaltige Erde speicherte die Flüssigkeit und ließ die Wurzeln faulen. „Wir haben dann einen Bodenspezialisten von der Universität Madrid aufgetrieben“, erinnert sich Heller. „Dem vertrauen die Madrilenen das Kostbarste an, was sie in den Augen vieler besitzen: den Rasen des Bernabéu-Stadions, der Heimspielstätte des berühmten Fußballclubs Real Madrid.“ Wie „ein weiser Apotheker“ habe dieser Professor Rezepturen für unterschiedliche Erdmischungen entwickelt – mit Erfolg. Mittlerweile wuchern hier Zehntausende prachtvolle und gesunde Pflanzen. „Der Garten ist die Summe meiner Erfahrungen“, sagt Heller. „Allerdings hatte ich zeitweise bis zu 200 Verbündete an meiner Seite, um 25 oder 30 Meter hohe Bäume und andere botanische Raritäten in ganz Marokko zu finden und auf zumeist abenteuerlichen Wegen herbeizuschaffen. Und jetzt sieht es nach relativ kurzer Zeit so aus, als wäre diese betörende Vielfalt immer schon da gewesen. Es ist ein riesiger, vitaler Organismus, aus dem sich ununterbrochen Neues und Blühendes entwickelt.“
Kunst in der Natur
Inmitten der üppigen Botanik tauchen immer wieder bunte, teils überdimensionale Kunstwerke auf. Ein Esel in Krawatte und Anzug zum Beispiel, aus Tausenden Mosaikteilchen zusammengesetzt. Über seine Vorderhufe sind Boxhandschuhe gestülpt – als ob er sich gegen all die Arbeit wehren will, die man ihm weltweit aufbürdet. Etwa die Hälfte der Skulpturen stammt von Heller, der Rest von teils unbekannten, teils renommierten Künstlern wie Keith Haring. „Die Kunstwerke sind sehr unterschiedliche, sehr spannende Antworten kreativer Meister auf das Thema Natur und Garten als Flanierzone“, sagt Heller.
Dass André Heller Anima ausgerechnet in Marokko angelegt hat, liegt an seiner ausgeprägten Liebe zu dem nordafrikanischen Land, die 1972 beginnt. „Ich empfand Marokko als einen Rausch an Schönheit und imponierend mannigfaltigen, oft auch verwirrenden Eindrücken.“ Damals fühlt er sich so in Bann gezogen, dass er sogar eine Konzerttournee absagt, um seinen Aufenthalt auszudehnen. Heute lebt Heller überwiegend in Marokko, im privaten Teil von Anima. „Europa hat mir nie besonders gut getan“, meint er nicht ohne Selbstkritik. „Vor allem der Kult der schlechten Laune nicht, wovon ich tragischerweise gelegentlich auch ein Teil war.“
Hilfe für die Nachbarschaft
In Marokko habe er „erstmals im Leben inneren Frieden empfunden“ – Grund genug, dem Land etwas zurückzugeben. „Was bietet sich da mehr an, als dringend benötigte Arbeitsplätze zu schaffen?“ In der Ortschaft Al Housz ist Anima der größte Arbeitgeber. Derzeit sind dort rund 60 Personen beschäftigt: Gärtner, Maurer, Schlosser, Tischler und Handwerker aus der Umgebung, die in Summe fast 1000 Menschen ernähren. „Es sind alles selbstbewusste Meister ihres Genres, denen man nichts vormachen kann und die mir sehr viel beibringen, etwa über traditionelle, effiziente Arbeitsmethoden, aber auch Heilkräuter oder wann präzise der heiß ersehnte Regen fällt und wo die Lieblingswinkel der Schildkröten für das Überwintern sind.“ Außerdem hat Heller in der Nachbarschaft eine Schule zur Alphabetisierung von Müttern und ihren Kindern mitinitiiert und einige Bauernhöfe mit Solaranlagen ausgestattet.
Am Eingangstor zu Anima befindet sich die Hand der Fatima, die böse Geister abhalten soll. Laut Heller zählen dazu „der Unfrieden, die Hektik, das Vandalen-Tun, die Ignoranz, die arroganten Besserwisser und alle Lieblosen, die kein Mitgefühl besitzen.“ Für seine Besucherinnen und Besucher soll Anima ein „Glücksdepot“ sein, eine „machtvolle botanische Wunderkammer, die Menschen jeden Alters und jeder Ausbildung, Einheimische und Ausländer zum Atemholen, zum Staunen, zum Meditieren und zum Flanieren einlädt.“ Weltweit würde sich Heller Hunderttausende solcher Gärten wünschen – „als wirksames Heilmittel für die Seele und als eine zentrale Maßnahme zum Thema Klimawandel.“